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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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dass er sie liebte! Erst dann würde er zur Trasse der Inselbahn aufbrechen, wo eine Lore auf die Schienen gesetzt werden sollte. Die würde später an die Inselbahn gehängt werden, damit sie Kohlen von Munkmarsch nach Westerland transportierte, die ein Frachtschiff mitgebracht hatte. Viel Zeit würde Marinus also auf keinen Fall haben. Aber nach einem Kuss, einer Umarmung, mochte sie noch so kurz sein, und nach ein paar geflüsterten Worten würde ein schöner Tag beginnen.
    Die Sonne befreite sich gerade aus dem Dunst der Nacht, nun war mit Marinus wohl nicht mehr zu rechnen. Bei Sonnenaufgang hatte er seinen Dienst anzutreten, es war zu spät für einen kurzen Besuch.
    Die Enttäuschung war wie ein leichter Schmerz. Sie hatte Teeblätter aufgegossen, Marinus sollte, bevor er in den kühlen Morgen ging, heißen Tee getrunken haben und sich gewärmt fühlen.
    »Moin, Geesche!«
    Die ersten Fischer kehrten zurück, mit reichem Fang und zufriedenen Gesichtern. Die Sehnsucht nach Marinus wurde zu einem Prickeln in der Körpermitte, in der Nähe des Herzens, das ihr in alle Glieder zog. Wenn er jetzt käme, in dieser Minute, und sie fragte, ob sie seine Frau werden wolle, dann würde sie Ja sagen und sich seinem Schutz anvertrauen. Andrees’ Segen hatte sie, dessen war sie nun sicher, und dass Marinus zur Familie von Zederlitz gehörte, musste sie wohl ertragenlernen. Nun glaubte sie sogar, dass sie es schaffen könnte. Seit ihr aufgegangen war, dass ihre Schuld in Gestalt von Hanna Boyken immer vor ihr stehen würde, auch wenn die Familie von Zederlitz auf ihrem schleswig-holsteinischen Gut war und selbst wenn sie das Haus auf Sylt verkaufen und nie hierher zurückkehren würde! Solange Hanna in ihrer Nähe lebte, würde sie keinen Frieden finden. Da spielte es keine Rolle, dass sie den Namen von Zederlitz nicht vergessen konnte, weil der Halbbruder des Grafen an ihrer Seite lebte. Sie würde ihre Schuld sowieso nicht vergessen können. Niemals!
    Gerade wollte sie die Tür hinter sich schließen, da hörte sie die Schritte. Erwartungsvoll drehte sie sich um, aber es war nicht Marinus, der auf ihr Haus zukam, sondern Freda. Verwundert sah Geesche ihr entgegen. Freda kam an diesem Morgen nicht mit schleppenden Schritten heran, müde und gebückt, wie sie sich sonst immer fortbewegte. Nein, sie ging aufrecht und forsch, als würde sie von einem Gefühl angetrieben, das ihr neue Kraft verliehen hatte.
    Sie riss sich ihr Kopftuch herunter, kaum dass sie Geesches Haus betreten hatte. »Ich muss mit dir reden, Geesche.« Freda nickte zu dem Fremdenzimmer, hinter dessen Tür noch alles still war. »Schläft Dr. Nissen noch?« Als Geesche nickte, ging Freda ihr voran in die Küche. Dort blieb sie in der Nähe der Feuerstelle stehen und wiederholte: »Ich muss mit dir reden.«
    »Was ist passiert?« Geesche schob Freda zu einem Stuhl. »Ich habe Tee vorbereitet, den können wir zusammen trinken.«
    Freda ließ sich am Tisch nieder und sah schweigend zu, wie Geesche den Teesud, den sie für Marinus angesetzt hatte, mit heißem Wasser aufgoss.
    »Red schon!«, forderte Geesche sie auf.
    Aber Freda wollte sich anscheinend Geesches ungeteilter Aufmerksamkeit sicher sein. Erst als Geesche die beiden Tonschalen auf den Tisch gestellt hatte und den Tee eingoss, öffnetesie ein paar Knöpfe ihres Kleides und holte ihren Brustbeutel hervor. »Sieh dir das an.« Freda zog einige Geldscheine hervor und blätterte sie auf den Tisch. »Das sind über dreihundert Mark.«
    Geesche zählte nach, als könnte sie es nicht glauben. »Woher hast du so viel Geld?«
    Freda schöpfte tief Luft, ehe sie antwortete: »Von Marinus Rodenberg.«
    Geesche starrte sie ungläubig an. Marinus gab Freda Geld? Und noch dazu so viel? »Warum?«, brachte sie schließlich mühsam hervor.
    Freda strich die Geldscheine glatt und betrachtete sie, wie sie damals ihr Neugeborenes betrachtet hatte, glücklich und traurig zugleich, voller Wehmut, aber auch voller Entschlossenheit. »Das weiß ich nicht«, sagte sie dann.
    Geesche fragte sich, ob sie an Fredas Verstand zweifeln musste. »Er wird dir doch einen Grund genannt haben.«
    Freda zuckte mit den Schultern. »Ich wüsste schon, hat er gesagt. Ich bräuchte mich nicht dazu zu äußern, und ich sollte mich auch nicht bedanken. Er hat sogar gesagt …« Freda sah Geesche an, als hatte sie Angst vor deren Antwort, »… es stünde mir zu. Eigentlich hätte der Graf es mir geben sollen. Aber nun bekäme ich das Geld

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