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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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eben von ihm, seinem Bruder. Und er würde mir wieder etwas bringen, sobald er etwas erübrigen könne. Heute zahlt Dr. Pollacsek den Lohn aus, deswegen hat er mir nicht nur Erspartes gegeben, sondern auch das, was er in seinen Taschen hatte.« Freda schob Geesche das Geld hin, als wollte sie die Verantwortung für Marinus’ merkwürdiges Verhalten von sich wegschieben. »Verstehst du das, Geesche? Ich habe ihm gesagt, er müsse sich irren. Der Graf schulde mir nichts. Aber Marinus Rodenberg wollte das Geld nicht zurücknehmen.« Sie beugte sich vor und sah Geesche so eindringlich an, als wollte sie sie zwingen, ihr zu erklären, was Freda einfach nicht verstehen konnte. »Kannst du mir sagen,was das bedeuten soll? Du … kennst ihn doch näher. Was meint er damit?«
    Ein grauer Schleier schloss sich vor Geesches Augen. Sie nahm Freda plötzlich nur noch schemenhaft wahr. Eine gewaltige Übelkeit stieg in ihr hoch, in ihrem Kopf drehte sich alles. Sie fühlte sich, als hätte sie sich zu lange um sich selbst gedreht und müsse nun abwarten, bis der Wirbel in ihrem Kopf sich legte. Aber bevor das so weit war, senkte sich etwas Großes, Bedrohliches auf sie herab, etwas, was mit vielen Armen nach ihr griff und sie am Schreien hinderte. Warum hatte Graf Arndt von Zederlitz sie verraten? Niemals sollte das große Geheimnis gelüftet werden! Niemals! Kein Mensch sollte es jemals aussprechen! Und nun? Nun hatte er sich offenbar seinem Bruder anvertraut. Warum?
    »Kannst du mit ihm darüber sprechen, Geesche?«, fragte Freda nun drängender. »Ich will nicht so viel Geld annehmen, wenn es mir nicht zusteht. Hinterher heißt es dann …«
    Geesche ließ sie nicht zu Ende sprechen, da sie die Tür von Dr. Nissens Zimmer hörte. »Ja, ich rede mit Marinus!«
    Der Schleier riss, sie blinzelte in ein grelles Licht, das sie an das Wetterleuchten erinnerte, das sie in der Sturmnacht vor gut sechzehn Jahren gewarnt hatte. Diesmal wollte sie die Warnung ernstnehmen.
    Hastig schob sie die Geldscheine zusammen und steckte sie in Fredas Brustbeutel zurück. Als Dr. Nissen die Küche betrat, hatte sie sich wieder in der Gewalt.

XIII.
    Dr. Pollacsek schrie. Er schrie die Namen sämtlicher Leute, die im Hause waren, schrie sogar die Namen derer, die an der Inselbahntrasse arbeiteten und ihn nicht hören konnten, und nach seiner Haushälterin, die nach der Zubereitung desHaferschleims nach Hause gegangen war. Er hörte erst auf zu schreien, als sein Bürovorsteher hereinstürzte und sich erkundigte, was denn um Himmels willen geschehen sei.
    Dr. Pollacsek wies zu dem geöffneten Tresor, von dessen Vorhandensein der Bürovorsteher bisher nichts gewusst hatte. Und die Angestellten, die nachdrängten, ebenfalls nicht. »Die Lohngelder!«, stöhnte er, hielt sich den Magen und krümmte sich vor Schmerzen. »Alles weg!«
    Der Bürovorsteher trat näher an den Tresor heran, als hielte er es für möglich, dass der Kurdirektor die Lohntüten übersehen haben könnte, dann betrachtete er Dr. Pollacsek kopfschüttelnd. »Das kann doch nicht sein …«
    »Gestern Abend waren sie noch da«, keuchte Dr. Pollacsek. »Sie müssen heute Nacht gestohlen worden sein. Holen Sie sofort den Inselvogt.«
    Der Bürovorsteher verließ den Raum und drängte alle anderen mit hinaus.
    »Dr. Nissen soll auch kommen«, rief Julius Pollacsek ihm nach. »Ich brauche einen Arzt.«
    Als er wieder allein war, richtete er sich mühsam auf. Seine Magenschmerzen waren schlimmer denn je. Anders zwar, aber nicht minder quälend. Sie waren nicht mehr ein harter Klumpen, sondern ein Pfahl mit grausamen Spitzen. Und als sein Blick auf den geöffneten Tresor fiel und ihm in den Sinn kam, dass er nun gezwungen sein würde, woanders einen neuen einzubauen, wühlten sich diese Spitzen in seinen Magen, so dass er sich erneut zusammenkrümmte und den Schmerz wieder zu einem steinharten Klumpen zusammenballte. Er war bestohlen worden! Zum ersten Mal in seinem Leben! Die Angst davor, seit er sich beobachtet und belauert fühlte, war zwar vertraut, aber dass es nun wirklich passiert war, machte ihn trotzdem fassungslos.
    Er starrte auf einen Punkt zu Füßen des geöffneten Tresors. Was lag dort am Boden? Ein winziger dunkler Gegenstand, derungefähr die gleiche Farbe wie die Holzdielen hatte. Seine ovale Form schmiegte sich in eine besonders breite Fuge, in der sich heller Staub gesammelt hatte und damit den kleinen Gegenstand verriet. Dr. Pollacsek fiel es schwer, sich zu bücken,

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