Hebamme von Sylt
Inselvogts anschwoll, während er Graf Arndt nachblickte, der auf einen jungen Mann zuging und ihn überaus freundlich begrüßte. Die Höflichkeit des Grafen unterschied sich so deutlich von der Geringschätzigkeit, die er dem Inselvogt entgegengebracht hatte, dass sie für Heye Buuß noch schwerer wog. Die Wut über diese Kränkung trieb ihm die Röte ins Gesicht.
Graf Arndt ging erfreut auf Alexander von Nassau-Weilburg zu, dessen Erscheinen es ihm ermöglicht hatte, sich dem Gespräch mit der Hebamme und dem Inselvogt zu entziehen.Heye Buuß war ihm nicht sympathisch, und mit Geesche Jensen wollte er nicht reden. Nie wieder hatte er ihr so nah gegenübergestanden, und er merkte nun, dass er diese Konfrontation in den letzten sechzehn Jahren aus gutem Grunde vermieden hatte. Er wollte ihre Stimme nicht hören und ihr nicht in die Augen blicken. Schlimm genug, dass er sich ihr auf Sylt nicht ganz entziehen konnte, aber sie sollte ihm nicht mit irgendwelchen Fragen kommen! So wenig er Heye Buuß mochte, so war er doch froh, dass sein Erscheinen ein längeres Gespräch mit der Hebamme verhindert hatte. Und nun konnte er zum Glück beiden entkommen, da das Erscheinen des jungen Fürsten selbstverständlich Vorrang hatte.
Er schüttelte Alexander von Nassau-Weilburg die Hand und versicherte ihm, dass er sich sehr freue, ihn zu treffen. Der Fürst versicherte das Gleiche, und die beiden Herren lächelten sich voller Sympathie an, beide gut aufgehoben und zufrieden in den erlernten Artigkeiten, die manchmal hemmten, aber immer auch Sicherheit versprachen und für Wohlbefinden sorgten.
Nach einer kurzen Konversation über das Wetter, das Wohlergehen der Königin und den zu erwartenden Zuwachs des Sylter Fremdenverkehrs gab Arndt dem jungen Mann die Gelegenheit, auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen zu kommen. Denn dass Fürst Alexander nicht zum Strand gekommen war, um ihn zu sehen, konnte er sich denken.
»Darf ich Sie bitten, einen Spaziergang mit Ihrer Tochter machen zu dürfen?«, fragte Alexander von Nassau-Weilburg.
»Selbstverständlich!« Graf Arndt sah sich um, dann runzelte er die Stirn. »Ich habe Elisa noch vor einer Weile mit ihrer Gesellschafterin an der Wasserkante gesehen.«
»Ihre Frau Gemahlin«, antwortete Alexander eifrig, »hat mir verraten, dass sie zu einem Spaziergang in den Dünen aufgebrochen ist. Zusammen mit ihrer Gesellschafterin. Gestatten Sie, dass ich den beiden Damen folge?«
Der Graf gab lächelnd die Erlaubnis und sah dem jungen Fürsten wohlgefällig nach, wie er mit großen Schritten auf den Strandübergang zulief und dabei versuchte, sich seine Eile nicht anmerken zu lassen. Ein netter junger Mann! Nicht nur eine gute Partie für Elisa, sondern auch ein Ehemann, dem man sie anvertrauen konnte.
Arndt ging zu seiner Frau und freute sich über ihr zufriedenes Gesicht. Sie rechnete vermutlich schon jetzt fest damit, dass Alexander von Nassau-Weilburg bald um Elisas Hand anhalten würde. Tatsächlich sah alles danach aus, dass der junge Fürst großes Interesse an ihrer Tochter hatte.
Graf Arndt gab Rosemarie ein Zeichen, damit sie einen weiteren Klappstuhl holte, dann setzte er sich neben Dr. Nissen und bedankte sich bei ihm dafür, dass er seine Frau so vortrefflich unterhalten hatte.
Während Leonard Nissen versicherte, dass das Gespräch mit der Gräfin das reinste Vergnügen gewesen sei, nahm Graf Arndt sich vor, dass nach Elisas Heirat Schluss sein musste mit den Sommermonaten auf Sylt. Er würde das Haus verkaufen oder es Marinus anbieten, falls der ihm verzeihen konnte, was er im Eifer seiner Rechtfertigungen zu ihm gesagt hatte. In der letzten halben Stunde war es ihm wieder so recht bewusst geworden, dass die Insel ihre Schuldigkeit getan hatte. Er wollte der Hebamme nicht noch einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.
»Dr. Nissen hat mir gerade eine ungeheure Geschichte erzählt«, berichtete Katerina, und Graf Arndt sah verwundert ein kleines, aber doch deutlich sichtbares Flämmchen der Sensationslust in ihren Augen flackern. »Dem Kurdirektor sind in der vergangenen Nacht sämtliche Lohngelder gestohlen worden. Ein Vermögen!«
Graf Arndt nickte. »Ich habe es gerade vom Inselvogt erfahren. Schrecklich!«
Er ließ ein paar angemessene Augenblicke der Erschütterungverstreichen, in denen ihm einfiel, dass auch Marinus zu denen gehörte, die heute vergeblich auf ihren Lohn warten mussten, und dass sein Bruder womöglich gezwungen sein würde,
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