Hebt die Titanic
weltoffen wie ein Fernsehkorrespondent, und Henry Munk, ein ruhiger Mann mit schläfrigem Blick, der nur zu gern irgendwo anders als an Bord der Sappho I gewesen wäre. »Wir alle hier an Bord sind doch nur Ingenieure und Mechaniker. Keiner von uns hat einen akademischen Grad als Wissenschaftler.«
»Die ersten Astronauten auf dem Mond waren auch keine Intellektuellen«, erklärte Gunn.
»Nur Mechaniker und Ingenieure können alle technischen Einrichtungen dieses Tauchboots richtig bedienen und vervollkommnen. Ihr alle habt die Einsatzfähigkeit von Sappho I bewiesen. Bei der nächsten Fahrt werden sich die Ozeanographen betätigen. Wir haben jedenfalls fehlerfrei die größte Unterwasserfahrt des Jahrhunderts navigiert.«
»Fehlerfrei?« sagte Giordino. »Und warum muß ich dann dieses wissenschaftliche Wunderwerk fünfhundert Meilen abseits vom geplanten Kurs in Kreisen umherlenken?«
Gunn zuckte mit den Schultern. »Wir müssen uns nach den Befehlen richten.«
Giordino sah ihn scharf an. »Wir sollten jetzt eigentlich unter der Labrador-See sein. Statt dessen befiehlt Admiral Sandecker plötzlich einen Kurswechsel und jagt uns über die Unterwassertiefebenen unterhalb der Großen Neufundlandbänke. Was soll das für einen Sinn haben?«
Gunn lächelte verschleiert. Auch ohne hellseherische Fähigkeiten ahnte er in den folgenden Sekunden des Schweigens, welche Gedanken seine beiden Mitarbeiter beschäftigten. Sie waren wohl wieder – wie er auch – im Geist zweitausend Seemeilen entfernt und drei Monate zurück im Hauptquartier des Nationalen Unterwasser- und Marine-Amts, wo Admiral James Sandecker die spektakulärste Tiefseetauchoperation der Jetztzeit erklärte:
»Glauben Sie mir, ich würde viel darum geben, wenn ich selbst an dem Unternehmen teilnehmen könnte«, hatte Admiral Sandecker behauptet.
In der Rückschau hatte Giordino das Gefühl, der Admiral wollte ihnen damals das Unternehmen schmackhafter machen. Er erinnerte sich noch, wie er lässig zurückgelehnt auf dem Ledersofa gesessen und eine der riesigen Zigarren aus der Kiste auf Sandeckers Schreibtisch geraucht hatte. Alle Blicke waren auf die Wandkarte des Atlantik gerichtet, vor der der Admiral stand.
»Dort ist also die Lorelei-Strömung«, erklärte Sandecker und tippte zum zweitenmal mit dem Zeigestock auf die Wandkarte. »Ihr Ursprung liegt an der Westspitze von Afrika. Die Strömung folgt dem mittelatlantischen Unterwasserkamm nach Norden, biegt zwischen Baffin-Land und Grönland nach Osten und endet in der Labrador-See.«
Giordino sagte: »Ich habe zwar nicht Ozeanographie studiert, Admiral, aber scheint es nicht so, als ob die Lorelei-Strömung in den Golfstrom einfließt?«
»Nein. Der Golfstrom ist eine Oberflächenströmung. Die Lorelei-Strömung ist hingegen der kälteste Tiefseestrom aller Ozeane, etwa viertausend Meter unter dem Meeresspiegel.«
»Dann unterquert die Lorelei-Strömung also den Golfstrom«, sagte Spencer.
»Das kann man annehmen«, bestätigte Sandecker und fuhr dann fort: »Die Ozeane bestehen hauptsächlich aus einer von der Sonne erwärmten und von Winden und Kaltluftströmungen aufgewühlten Oberschicht und einer sehr kalten und sehr dichten Unterschicht. Die beiden Schichten vermischen sich nie.«
»Hört sich sehr düster und abweisend an«, sagte Munk. »Schon die Tatsache, daß irgendein Typ mit Sinn für schwarzen Humor die Strömung nach jener Rheinnymphe benannt hat, die Seemänner an einer Felsklippe ins Verderben lockte, erscheint mir als Warnung, mich nie in diese Tiefe zu wagen.«
Ein grimmiges Lächeln war Sandeckers Reaktion. »Trotzdem werden Sie sich an den ominösen Namen gewöhnen müssen, Gentlemen«, sagte er betont langsam »Denn Sie werden etwa fünfzig Tage in der Tiefe der Lorelei-Strömung verbringen müssen.«
»Wozu das?« fragte Woodson beunruhigt.
»Zur Erforschung der Lorelei-Strömung. Sie werden in einem Tiefsee-Tauchboot fünfhundert Seemeilen nordwestlich von Dakar starten und der Strömung in der Tiefe folgen. Ihre Hauptaufgabe wird jedoch die Erprobung des Tauchboots und seiner Ausrüstung sein. Falls keine Panne einen vorzeitigen Abbruch des Unternehmens notwendig macht, werden Sie gegen Mitte September ungefähr im Zentrum der Labrador-See auftauchen.«
Es folgte eine Debatte über die verschiedenen Aufgabenbereiche der Männer, und dann kehrte Sandecker hinter seinen Schreibtisch zurück und erklärte: »Übermorgen werden Sie in unseren Hafenanlagen bei Key
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