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Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Titel: Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: François Lelord
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Er war ein Krebsspezialist, wobei man heutzutage meist »Onkologe« sagt, damit die Patienten nicht so erschrecken. Robert und Hector diskutierten oft über die Vorzüge und Nachteile ihres jeweiligen Fachgebietes. Pluspunkt für Robert: Er arbeitete in einem Team, und es gab unaufhörlich Fortschritte auf seinem Gebiet. Pluspunkt für Hector: Er sah seine Patienten fast nie sterben.
    Denise war Psychologin, aber anders als Hector hatte sie keine Praxis, sondern arbeitete für große Unternehmen, die Hilfe beim Nachdenken über ihre »Humanressourcen« brauchten – ein schöner Ausdruck, der daran erinnern sollte, dass die Mitarbeiter beinahe genauso wichtig waren wie die Dividenden. Hector hatte, als er noch im Krankenhaus tätig gewesen war und seine Einkünfte aufbessern musste, manchmal mit ihr zusammengearbeitet.
    Denise und Robert hatten das Glück, eine Wohnung genau gegenüber vom Palais de Chaillot zu haben. Ihre Fenster boten einen herrlichen Blick auf die Seine und den Eiffelturm, es war wie eine Filmkulisse für das, was man so treffend ein »Pariser Diner« nannte – ein Abend unter wohlerzogenen Leuten, an dem sich alle pausenlos gut gelaunt zeigen und niemand etwas Unerfreuliches sagte, selbst wenn er sich ein Gläschen zu viel hinter die Binde gekippt hat. Und man riskierte schnell, ein Gläschen zu viel zu trinken, denn Robert servierte stets so vorzügliche Weine, dass viele Gäste dem Ausdruck ihrer Begeisterung freien Lauf ließen.
    Zum Aperitif hatte es übrigens Champagner gegeben, den ihnen eine alte und weißbeschürzte philippinische Dame, die bei den Essen von Denise und Robert meistens servierte, behutsam, damit sich kein Schaum bildete, in die Sektkelche gegossen hatte.
    Der Tisch sah wunderbar aus: Neben jedem Gedeck stand ein kleiner Blumenstrauß, das Essgeschirr war von der Art, wie man es in den Schaufenstern der feinen Läden sieht, der Haut-Médoc zeigte in den Kristallgläsern eine schöne Färbung, und die Konversation kreiste friedlich um die letzten Urlaubsreisen der Anwesenden – Nepal, Sansibar, Sri Lanka, Mauritius – oder um die Renovierungsarbeiten am Zweitwohnsitz, meist einem reizenden alten Anwesen, in dem schon in früheren Jahrhunderten die Bessergestellten gewohnt hatten.
    Hector war klar, dass die Unterhaltung dann ganz sacht zum Studium oder den ersten Jobs der Kinder übergehen würde, von denen fast alle inzwischen schon im Ausland lebten. Hector und Clara würden dabei mühelos mithalten können, denn ihr Sohn, Hector II ., hatte seinen ersten Posten als Referent eines hohen Beamten im Auslandseinsatz in Afghanistan (Clara hatte wochenlang nicht schlafen können, als sie davon erfahren hatte), und ihre Tochter Anne studierte in England Jura (aber auf eine Weise, die Olivia gefallen hätte, denn sie wollte Anwältin für eine jener Nichtregierungsorganisationen werden, die Prozesse gegen umweltverschmutzende Konzerne anstrengen oder gegen ausbeuterische Subunternehmer).
    Und dann würde die Konversation garantiert einen Schlenker machen und um die neuesten Filme und Bücher kreisen, und die aufgewecktesten Gäste hätten dazu sicher witzige oder sogar tiefgründige Dinge zu sagen. (Robert zum Beispiel war nicht nur Krebsspezialist – am Abend vor dem Einschlafen las er deutsche Philosophen. Und mindestens zwei der anwesenden Ehefrauen hatten in ihren jungen Jahren ziemlich intensiv Geisteswissenschaften studiert, ehe sie geheiratet und höchstens noch halbtags gearbeitet hatten.) Bei manchen Gästen spürte Hector noch Restbestände jenes Witzes und jener Phantasie, die ihnen als jungen, sorglosen Menschen einmal eigen gewesen sein mussten. Er fragte sich, ob der eine oder die andere davon träumen mochte, ein neues Leben anzufangen. Heute Abend würde davon aber bestimmt nicht die Rede sein, umso weniger, als das Diner mit einem wunderbaren Entenkleinsalat begonnen hatte, bei dem man gleich fand, dass das Leben so, wie es eben war, ganz gut war.
    Denn natürlich hatten einige Gäste auch Probleme (selbst in der oberen Mittelschicht der reichen Länder steigt mit den Jahren die Wahrscheinlichkeit, dass man welche bekommt), aber heute strengten sich alle an, sie nicht zur Sprache zu bringen. Von der eleganten, aber abgemagerten Dame zu seiner Rechten beispielsweise wusste Hector, dass sie schon zum zweiten Mal wegen einer Leukämie behandelt worden war, die man schon überwunden geglaubt hatte. Und durch Clara, die ein Talent dafür hatte, vertrauliche

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