Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
Verabredung mit Gunther einzuhalten.
Was Hector nicht gewollt hatte
Erst hatte Hector kein flüchtiges Abenteuer gewollt, dann hatte er kein Verhältnis gewollt, und dann hatte er nicht gewollt, dass sie als Frischverliebte ein Wochenende zusammen wegfuhren.
Hector und Ophélie waren am Meer. Hector hatte ein Zimmer im Grand Hôtel von Cabourg reserviert, einem Luxushotel, das ebenso schön war wie das Lutetia, aber schon Jahrzehnte früher, zu jener Zeit, als die Reichen das Baden im Meer zu entdecken begonnen hatten, direkt am Strand errichtet worden war. Ihr Zimmer war wie ein kleines Haus, das über dem Ärmelkanal hing, und vielleicht hatte genau hier auch Proust gewohnt, als er vor hundert Jahren Im Schatten junger Mädchenblüte geschrieben hatte.
Nachts hörte Hector Ophélies Atem und das Atmen der Wellen, das durchs offene Fenster hineindrang.
Er war glücklich und unglücklich zugleich.
Er schlief nicht viel. Er genoss es, das erste Morgenlicht auf Ophélies nacktem und blassem Körper zu sehen, wenn sie noch schlief.
In solchen Augenblicken, wenn er der jungen Mädchenblüte beim Erwachen zusah, fühlte er sich auch am heftigsten als untreuer Ehemann.
Ophélie war versessen auf Austern, rosa und graue Garnelen, Krabben und Langustinen, und sie verschlangen beide große Mengen davon, während sie im riesigen Speisesaal des Hotels saßen, von dem aus man aufs Meer blicken konnte. Sie sahen, wie es bei jedem Wolkendurchzug seine Farbe änderte – wie Ophélies Augen, die von Grün zu Grau changierten.
Oder sie fuhren ins Vapeurs nach Trouville, wo Hector immerzu fürchtete, irgendwelche Ehepaare zu treffen, die er aus Paris kannte.
Und sie sprachen miteinander, sprachen viel miteinander, tranken Chablis oder Pouilly-Fumé und gingen am Ufer spazieren.
Ophélie erzählte vergnügt von ihrem Leben, ihren Freundinnen, ihrer Lektüre und ihren Plänen, und Hector hatte das Gefühl, mit der Bewohnerin eines anderen Planeten am Strand spazieren zu gehen – des Planeten der Jugend.
Es fiel ihm auf, dass sie ihm kaum Fragen stellte. Und was hätte er auch aus seinem Leben erzählen können, ohne den Zauber zu brechen? Sollte er von Clara reden, von seinen Kindern?
Sie scherzten viel miteinander, oft war ihre Unterhaltung ein Hin und Her von kleinen Späßen, und auch das zerriss Hector das Herz, denn er erinnerte sich, dass Clara und er genauso miteinander gesprochen hatten, als sie noch nicht verheiratet gewesen waren.
Die übrige Zeit vermied er es, an Clara zu denken; so hatte er das Gefühl, sich selbst zu betäuben. Er hatte beschlossen, sich ganz auf den Augenblick zu konzentrieren, was er übrigens auch ständig seinen Patienten empfahl.
Sie liefen barfuß den Strand entlang, und plötzlich machte Ophélie einige Schritte ins Meer hinein, das noch zu kalt war. Sie stieß ein paar spitze Schreie aus, also machte sich Hector den Spaß, sie zu tragen, während sie ihm ihre Arme um den Hals legte. »Ich mache mich zum Idioten!«, dachte er, und gleichzeitig war er trotzdem glücklich.
Es gelang Hector, diese Augenblicke des Glücks auszukosten, und dennoch fürchtete er, sie könnten zwischen ihnen beiden ein Band knüpfen, das sich später nicht mehr zerreißen ließe. Jeder glückliche Moment am Strand, im Hotelzimmer oder im Restaurant war wie ein zusätzlicher Schluck vom Liebestrank. Vor allem für Ophélie, wie sich Hector schuldbewusst sagte. Er selbst war bereit, alle möglichen Qualen durchzustehen, aber er fürchtete um sie, denn sie war noch so jung.
Doch sprachen sie nie über die Zukunft; sie lebten nur für den Augenblick. Sie sprachen auch niemals über ihre Liebe und vermieden es, die Erinnerung an jenen Moment heraufzubeschwören, an dem sich Ophélie von Hector angezogen gefühlt hatte und Hector von Ophélie. Anders als die meisten Verliebten erzählten sie sich nicht ihre eigene Geschichte.
Aber wie mochte Ophélie diese Geschichte sehen? Das war eine brennende Frage, die er nicht anzusprechen wagte. Natürlich machte er ihr keine Versprechungen, aber er wusste genau, dass »keine Versprechungen machen« für Frauen nicht dasselbe war wie »wirklich nicht die geringsten Versprechungen machen«. Wenn man sich damit begnügte, keine Versprechungen zu machen, hinderte das manche Frauen nicht daran, trotzdem zu träumen zu beginnen (auch wenn Hector nicht richtig glauben konnte, dass eine junge Frau seinetwegen noch ins Träumen kam).
Aber zugleich wusste Hector, dass das
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