Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
dabei waren, in denen er schon mit Clara gewesen war. Manchmal gingen sie auch gleich ins Kino, denn Ophélie liebte die alten Klassiker und wollte sie gern immer wieder sehen (auch ich bin ja ein alter Klassiker, dachte Hector). Danach stiegen sie gemeinsam die Treppen zu Ophélies Studentenbude hoch, die einst das Dienstmädchenzimmer gewesen war und von der aus man über die Dächer von Paris schauen konnte und in der Ferne sogar den Eiffelturm sah. Es war ein Blick wie in manchen amerikanischen Musikkomödien, die in Paris spielten (schon wieder alte Klassiker). Und schließlich machten Hector und Ophélie das, was Sie in so einer Musikkomödie nie zu sehen bekommen werden.
Hector wusste nicht, wie ihm geschah, oder vielmehr wusste er nur zu gut, wie ihm geschah. Nach ihrem ersten Kuss und dem, was darauf gefolgt war, hatte er sich gegen sich selbst aufgelehnt. Nein, es war unmöglich, es durfte gar nicht sein, er durfte doch kein untreuer Ehemann sein, man musste diese Augenblicke schnellstens vergessen, sie waren nur ein Irrtum, ein Missverständnis, und Ophélie würde das sofort verstehen, wenn er es ihr erklärte.
Er hatte angesetzt: »Ich denke, wir sollten nicht …« und dann nach Worten gerungen, während ihn Ophélie belustigt angeschaut hatte. Man muss dazu sagen, dass Ophélie und Hector beide nackt waren, was nicht die beste Ausgangssituation für ein ernsthaftes Gespräch ist. Hector hätte besser noch ein wenig gewartet, aber was da gelaufen war, hatte ihm Angst gemacht, und zu alledem war es sehr gut gelaufen, was es noch schlimmer machte.
»Wir sollten lieber vergessen, was gerade geschehen ist …«
Ophélie lachte laut los, und dann schlang sie ihm die Arme um den Hals.
Nachdem es an den folgenden Tagen immer wieder zu den wunderbarsten Begegnungen gekommen war, sagte sich Hector, dass er kein Abenteuer mit Ophélie gewollt hatte und dann sagte er sich, dass er es nicht gewollt hatte, dass aus dem Abenteuer eine Liaison wurde und dass … Er wagte gar nicht daran zu denken, was er mit Ophélie alles nicht wollte, denn er musste befürchten, dass es ausnahmslos eintrat.
Ein Verhältnis mit Ophélie zu haben war erschreckend, wundervoll, bestürzend, erhebend, und es wären ihm noch andere Adjektive dafür eingefallen, auch wenn er spürte, dass sein Gehirn ein wenig gelähmt war.
Es war erschreckend, weil er ganz und gar nicht wusste, wohin es führen würde, auch wenn er das Gefühl einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe hatte.
Es war wundervoll, weil Ophélie wundervoll war, ganz besonders, wenn sie nichts anhatte, und noch mehr, wenn sie in seinen Armen lag, und noch mehr, nachdem er bemerkt hatte, dass die Liebe für sie etwas ganz Natürliches war und sie sich überhaupt nicht so verlegen und ungeschickt benahm wie die zwanzigjährigen Frauen in der Zeit, als Hector selbst zwanzig gewesen war. Daran merkte er auch, dass er nicht mehr jung war: Manchmal hatte er den Eindruck, dass Ophélie im Bett ebenso viel Erfahrung hatte wie er und dass sie sogar ungezwungener war, selbst wenn er sich rasch daran anpasste, denn schließlich war Hector Psychiater, vergessen Sie das nicht. Ganz zu Beginn hatte er sich wie der böse Wolf mit dem kleinen Rotkäppchen gefühlt, aber jetzt fragte er sich, ob von ihnen beiden nicht eigentlich Ophélie das Raubtier war, denn schließlich hatte sie ihn sehr geschickt gejagt und schließlich gefangen.
Es war bestürzend, weil er das Gefühl hatte, er verrate sein bisheriges Leben und dazu noch das Leben von Clara, ihre Ehe und den treuen Gatten, der er bisher gewesen war. Dieses Gefühl löste in ihm manchmal den plötzlichen Drang zu weinen aus, und er musste schnell im Badezimmer verschwinden, damit er seinen Tränen freien Lauf lassen konnte und Ophélie nichts von seinen kurzen Schluchzern hörte.
Es war erhebend, weil er sich plötzlich wieder jung fühlte, wenn er mit Ophélie lachte, wenn sie in seinen Armen lag und die Augen schloss, wenn sie erschöpft nebeneinander einschliefen.
Es war erschreckend, denn er fragte sich, wohin es Ophélie führen würde; er fühlte sich verantwortlich für das, was mit ihr geschah, auch wenn sie nicht ganz unschuldig an der Situation war.
Es war bestürzend, denn er musste unaufhörlich darüber nachdenken, was er beim nächsten Mal dem alten François sagen beziehungsweise nicht sagen würde, wenn der ihn mit seinem gütigen Lächeln fragte: »Geht es Ihnen gut, lieber Freund?«
Sollte er es ihm
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