Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
Blumen und Gemüse auf dem Trottoir verkauft wurden. Diese Welt war noch ein Teil seiner Kindheit gewesen, ehe sie ganz verschwunden war; Ophélie aber konnte sie nur noch in verklärter Form im Kino erleben.
»Achte mal auf den Hoteleingang«, sagte Robert.
Die Eingangstür öffnete sich, und eine Frau trat hinaus.
Aus der Entfernung brauchte Hector ein paar Sekunden, ehe er sie erkannte.
»Ja«, sagte Robert, »das ist meine Denise. Pünktlich wie immer, und jetzt geht sie zu ihrem Kurs bei einem Rahmenmacher.«
Hector wusste nicht, was er sagen sollte. Vor allem fürchtete er, was gleich kommen würde, denn Robert starrte noch immer auf das Hotel.
Die Eingangstür öffnete sich von Neuem, und ein korpulenter Mann mit grauen Haaren trat eilig auf die Straße. Es war Jean-Claude, der Mann von Géraldine, die Hector damals beim Diner so auf die Nerven gegangen war und ihm seine Midlife-Crisis zu Bewusstsein gebracht hatte.
»Voilà«, sagte Robert. »Ein Paar von Ehebrechern. Wie findest du das?«
Robert bestellte sein zweites Glas Weißwein, aber diesmal sagte Hector nichts dazu, obwohl es erst früher Nachmittag war.
»Wie hast du Verdacht geschöpft?«, wollte Hector wissen.
»Sie hatten einfach Pech, die Armen! Ein Freund von mir wohnt in der Nähe und trinkt hier oft einen Kaffee. Eines Tages hat er sie gemeinsam herauskommen sehen und mich angerufen. Er weiß Bescheid über die Geschichte mit meiner jungen Bewunderin. Er dachte, ich würde mich über diese Nachricht freuen.«
»Und tust du das nicht?«
Hector erwartete, dass Robert ihm antworten würde, er sei froh, sich jetzt quitt fühlen zu können – oder im Gegenteil, er sei rasend vor Eifersucht. Aber es kam anders.
»Im Grunde macht es mir Kummer. Ich sage mir, dass ich meine gute Denise wirklich unglücklich gemacht haben muss, wenn sie den Schritt zum Ehebruch gewagt hat! So etwas ist eigentlich nicht ihre Art. Und dann noch mit Jean-Claude! Noch so ein Unglücklicher – mit dieser schrecklichen Géraldine … Die ihn ebenfalls betrügt, wie du ja weißt. Es hat sogar etwas Rührendes, Denise und Jean-Claude zusammen zu sehen, diese beiden braven und gutherzigen Menschen, die sich heimlich miteinander über ihre untreuen Ehepartner hinwegtrösten.«
»Und du denkst wirklich, Denise weiß über dich und deine junge Bewunderin Bescheid?«
»Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht. Sie hätte das Thema sonst bestimmt angesprochen. Aber gewiss hat sie sich vernachlässigt gefühlt. Und noch etwas anderes macht mich traurig: Weil sie nichts von meiner Affäre weiß, hat sie bestimmt Schuldgefühle, dass sie mich betrügt. In letzter Zeit wirkte sie ziemlich niedergeschlagen. Sie ist für Seitensprünge einfach nicht geschaffen. Ehebruch ist was für Leute ohne allzu große Skrupel – Leute wie mich beispielsweise …«
Da übertrieb Robert, denn Skrupel waren ihm nicht fremd: Immerhin las er vor dem Einschlafen ja die deutschen Philosophen …
»Und was willst du jetzt tun?«
»Ich bin ein bisschen ratlos«, sagte Robert.
Und er erklärte Hector, warum ihn die Vorstellung, Denise unglücklich gemacht zu haben (und diese Liaison war nun wirklich ein Zeichen dafür), plötzlich sehr traurig hatte werden lassen. Er hatte mit sich selbst gehadert, war ihm doch klar geworden, dass Denise immer eine gute Ehefrau gewesen war. »Wenn sie mich mit einem jungen und smarten Kerl betrogen hätte, hätte ich ihr das vielleicht übel genommen und wäre eifersüchtig gewesen … Auch wenn ich mir das eigentlich nicht erlauben dürfte. Aber mit dem braven Jean-Claude …«
»Vielleicht ist es ja tatsächlich Liebe?«, meinte Hector.
»Na ja, er ist klug, er hat Humor, und früher war er sogar richtig witzig, erinnerst du dich? Das war, bevor er sich von dieser Pest hat einfangen lassen!«
»Wahrscheinlich hat er zu seiner alten Form zurückgefunden …«
Jean-Claude musste irgendwann beschlossen haben, seinen Problemen ins Auge zu sehen, und dabei hatte er wahrscheinlich festgestellt, dass er das Recht auf ein wenig Ehebruch hatte.
»Also, was hast du vor?«
Robert zögerte. Über Hectors Schulter hinweg bestellte er einen … nein, keinen weiteren Weißwein, sondern einen Kaffee. Er wartete, bis der Kellner die Tasse brachte; dann schaute er Hector an und sagte: »Mir ist bewusst, dass ich jetzt die Gelegenheit für eine große Veränderung in meinem Leben hätte! Ich könnte zu meinem jungen Häschen gehen, das immer noch auf mich
Weitere Kostenlose Bücher