Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)
bestellte bei Paolo Conte noch einmal Champagner, und Clara sagte sich, dass sie nicht zu schnell trinken durfte, denn sie wollte sich angesichts von Gunthers Verführungskünsten noch im Griff haben.
Eine Kellnerin – eine bildhübsche, groß gewachsene Schwarze – trat an Gunther heran und fragte ihn etwas wegen einer Tischreservierung.
Gunther antwortete, ohne sie anzuschauen, und fühlte sich dabei offensichtlich so unwohl, dass Clara der Gedanke kam, er schlafe mit ihr oder habe früher mit ihr geschlafen. Und als die andere beim Fortgehen Clara einen Pantherblick zuschleuderte, war sie sich ganz sicher: Die Kellnerin war mit ihren Fragen nur deshalb zu Gunther gekommen, um Clara besser in Augenschein nehmen zu können.
Alles in allem war das ja auch normal, denn war Gunther nicht geschieden und konnte tun und lassen, was er wollte? Aber plötzlich war Clara ernüchtert, und sie hatte das vage Gefühl, nur eine neue Trophäe des neuen Gunther zu sein. Wollte er seine Niederlage von damals wettmachen?
Liebe kann blind machen, aber auch sehr klarsichtig, denn Gunther las ihre Gedanken.
»Du kannst dir … du kannst dir gar nicht vorstellen, wie … wie wichtig es für mich ist, dich wiederzufinden«, stammelte er.
Wichtig schon, dachte Clara, aber wofür genau?
Plötzlich merkte sie, dass Gunther mehr getrunken hatte als sie. Allein die drei Gläser Champagner, die er vor ihren Augen geleert hatte, hätten ihn niemals über seine Worte stolpern lassen. Er musste schon etwas getrunken haben, bevor sie gekommen war; wahrscheinlich gegen das Herzklopfen vor dem Wiedersehen.
»Du und ich«, murmelte Gunther jetzt feuchten Blickes, »das war etwas ganz Großes.«
Mit einem traurigen Lächeln legte er seine Hand auf die von Clara. »All die Jahre, all die Frauen … das ist so schnell vorübergegangen wie ein Blitz. Ich habe die ganze Zeit an dich gedacht – an meine Clara. Mein Leben hatte keinen richtigen Sinn mehr …«
»Wirklich? Aber all das hier scheint mir schon Sinn zu haben«, sagte Clara und wies mit einer weiten Geste auf den Klub, die allmählich eintreffenden Jazzliebhaber und das Ballett der langbeinigen Kellnerinnen.
»Irgendwie muss man die Zeit ja totschlagen«, meinte Gunther achselzuckend. Er ließ seinen Blick aufmerksam durch den Saal schweifen, um zu prüfen, ob alles in Ordnung war, und sogleich wurde er wieder zu dem Gunther, den Clara einst gekannt hatte.
Die ersten Musiker tauchten auf und begannen sich auf der Bühne einzurichten.
»Wollen wir nicht etwas essen gehen?«, fragte Gunther.
»Bleibst du denn nicht, wenn sie spielen?«
»Gewöhnlich schon. Aber nicht, wenn du hier bist.« Erneut begann er Let’s do it, let’s do it zu summen und schaute Clara mit seinem geballten Charme an.
Und wirklich, warum hätte sie ein Abendessen mit einem Expartner ablehnen sollen?
Sabine macht Fortschritte
»Dinkelmehl! Quinoa! Bulgur! Und zu alledem unterstützt man damit die traditionelle Bewirtschaftung der Felder! Bioguavensaft!« Sabine schien in Hochform zu sein. Sie hatte ihren Abschied ausgehandelt und richtete nun dieselbe Energie, die sie bislang für ihre Firma eingesetzt hatte, auf ihr neues Projekt – einen Bioladen.
Trotz seines Liebesabenteuers führte Hector seine Arbeit so gut wie möglich weiter. Die schwierigsten Momente durchlebte er nicht in seinem Sprechzimmer, sondern wenn er allein war. Dann dachte er an Clara und an Ophélie und machte sich große Sorgen. Er schalt sich nicht mehr dafür, dass er der Versuchung nachgegeben hatte; das war ja ohnehin schon geschehen, was hätte es also gebracht, sich deswegen zu zermartern?
Was ihn beunruhigte, war das Leid, das er vielleicht hervorrufen würde. Dabei wusste er freilich, dass Beunruhigung oder Schuldgefühle allein nicht ausreichten, um den Weg des richtigen Handelns einzuschlagen. Das richtige Handeln – es war schon ein zentrales Thema der griechischen Philosophen gewesen, deren Werke der junge Antoine las. Aber an Antoine wollte Hector lieber nicht denken.
Zu alledem stand ihm sein nächstes Treffen mit dem alten François bevor. Da würde er sich verpflichtet fühlen, seinem alten Freund zu enthüllen, dass er ein Verhältnis mit dessen Enkeltochter hatte. Schon bei ihrem letzten gemeinsamen Abendessen hatte er den Eindruck gehabt, dass der alte François auf solch ein Geständnis wartete, aber vielleicht war das auch nur Einbildung gewesen – eine Illusion, die ihm vorgaukeln wollte, dass
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