Heidegger - Grundwissen Philosophie
verschärft sie zugleich.
Die dialogische Struktur des sprachlichen Verstehens verliert sich zugunsten einer monadologischen Konstruktion eines Ich, das eigentlich keine Antwort mehr auf seine Sprachangebote ermöglicht. Sprache entpuppt sich als Monolog, dessen Zentrum das je eigene Selbst ist. Dieses Selbst ist auf eine Imagination festgelegt, die als primäre Selbstverständigung funktioniert und der gegenüber alle Sprachangebote des [102] alltäglichen In-der-Welt-Seins wie ideologische Überfremdungen erscheinen. Die Konzeptualisierung des Todes als eine Bedingung für Eigentlichkeit hat also nicht nur die Konsequenz, daß Heidegger mit diesem Projekt das Prinzip der Selbsterhaltung in seiner traditionellen Form verabschiedet, er stellt damit außerdem das Funktionieren der konventionellen Sprache und ihren sozialen Bedeutungsgehalt vom Monolog her in Form einer Privatsprache in Frage – womit sich bereits in
Sein und Zeit
andeutet, daß Heidegger das »Wesen der Sprache« aus dem »Wesen der Dichtung« erklärt. (GA 4, 43)
Nun ist klar, daß der Monolog für die sprachliche Verständigung mittels identischer Bedeutungen nicht konstitutiv sein kann. Denn die Teilnahme an sprachlichen Interaktionen erfordert nicht nur die Verwendung von sprachlichen Symbolen, was an die Kompetenz gebunden ist, einer Regel zu folgen, sondern auch die adressierende Einstellung zwischen Ego und Alter ego. Gerade diese adressierende Einstellung wird aber durch die Orientierung am »je
eigenen
Dasein« systematisch verfehlt. Die Folge davon ist, daß der Monolog den Dialog aufzehrt. Dieser Dialogverlust bildet in seiner Konsequenz die Kehrseite des
intersubjektivitätstheoretischen Negativismus
, den die Prämissen der Mitseinsanalyse erzwingen. Der monadologische Einsatz beim »je
eigenen
Dasein« nötigt Heidegger, die intersubjektive Beziehung zwischen Dasein und Dasein im Mitsein aus der Perspektive eines einzelnen Bewußtseins zu rekonstruieren, wodurch der Verständigungsprozeß in zwei disparate Teile zerfällt: in die Kundgabe eines Sprechers einerseits und in die Kundnahme eines Hörers andererseits. Zwar versichert uns Heidegger, daß das Sprechen genauso wie das Hören für das Reden und das Verstehen konstitutiv ist. Da jedoch die »zweite Person nur in der nivellierenden Form der
anderen
Person, aber nicht als mein Partner oder als das Du eines Ich« 53 erscheint, ist eine sprachlich erzeugte Intersubjektivität der Verständigung nicht plausibel zu machen.
Damit gerät das gesamte Sprachkonzept, so wie Heidegger es in
Sein und Zeit
vertritt, in eine Krise. Denn wenn das [103] Prädizierte »eigentlich« überhaupt nicht kommuniziert werden kann, weil es im Modus der Eigentlichkeit überhaupt keine intersubjektiv verstehbare Sprache gibt und weil jede Prädikation die Vorgängigkeit des Seins kompromittieren würde, dann kann Sprache letztlich nichts anderes mehr kommunizieren als ein gänzlich Leeres. Wollte Heidegger anfänglich darüber sprechen, worüber Wittgenstein zu schweigen vorzog, so wird ihm schließlich dieses Leere, das absolut Unausdrückbare, das aller Prädikation Enthobene unter dem Namen »Sein« zum erschweigbaren
Ens realissimum
.
So hat denn Heidegger im Anschluß an Dilthey und Husserl das Verstehen und die Sprache als Grundzug des menschlichen Daseins eingeführt und auf die konstitutive Rolle des Vorverständnisses aufmerksam gemacht, das dem Zu-tun-Haben mit der gleichen Sache entspringt. Insofern er aber mit der Orientierung am »je
eigenen
Dasein« dem Auslegungsmodell des Verstehens eine einseitige, sprich monologische Wendung gibt, wird es ihm unmöglich, das Problem des sprachlichen Sinnverstehens zu lösen. Im Unterschied zu Beobachtungen, die jeder für sich allein tätigt, ist Sinnverstehen solipsistisch nicht durchführbar. Sinnverstehen erfordert die Aufnahme einer intersubjektiven Beziehung mit dem Subjekt, das die Äußerung hervorbringt, die verstanden werden soll. Sprachliche Bedeutungen können nur von innen, d. h. aus der performativen Einstellung von Kommunikationsteilnehmern erschlossen werden.
Heideggers Antipode Wittgenstein wußte: Identische Bedeutungen liegen für sprechende und handelnde Subjekte dann und nur dann vor, wenn sie einer
Regel
folgen. Im Begriff der Regel vereinigen sich die Identität der Bedeutung mit der Intersubjektivität ihrer Geltung. Die Intersubjektivität der Regelgeltung und die Identität sprachlicher Bedeutungen erläutern sich
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