Heidegger - Grundwissen Philosophie
auf der Ebene der Begründung eines eigentlichen Redens wieder verloren. Angelangt am Eingangstor der Eigentlichkeit, führt von hier kein Weg zurück in eine intersubjektiv geteilte Lebenswelt. Heideggers Fundamentalontologie kann die »vom platonistischen Logizismus übersehene Frage nach der
subjektiv-existenzialen Konstitution
verstehbarer ›Bedeutsamkeit‹ […] beantworten, nicht aber die Frage nach den
Gründen der Möglichkeit intersubjektiv gültiger Bedeutungen
«. 49 Was Heidegger als lebensweltliche Tatsache anerkennt, kann er fundamentalontologisch nicht mehr verständlich machen: eine sprachlich erschlossene und intersubjektiv geteilte Lebenswelt. Die einzigartige existenzielle Einsamkeit kann er nur zu einer solipsistisch-transzendentalen Einsamkeitsgemeinschaft universalisieren, nicht jedoch in einer intersubjektiv geteilten Wir-Welt aufheben. Denn das »Man« ist das Wir. Und die » ›öffentliche‹ Wir-Welt« (SZ 65) ist die öffentliche » [98] Man-Welt«, von der es gerade loszukommen gilt, weshalb Heidegger am Ende auch keinen Ort mehr hat für eine symmetrische Ich-Du-Begegnung von Dasein zu Dasein im Mitsein.
Ausdrücklich wendet sich Heidegger dagegen, die Ich-Du-Beziehung als »die grundlegende soziale Struktur« zu betrachten 50 , von der aus sich neben dem Problem der Intersubjektivität auch das der Erschließungsleistungen des Daseins erklären ließe. Gegen die Dialogik von Martin Buber (1878–1965) und Franz Rosenzweig (1886–1929) und gegen seinen ersten Habilitanden Karl Löwith (1897–1973) gewandt, der in seiner bei ihm verteidigten Habilitation die dialogische Ich-Du-Beziehung als konstitutiv für Reden und Verstehen herausstellte 51 , verteidigt Heidegger seine Position mit dem Argument, daß es ein Irrtum sei »zu meinen, die Ich-Du-Beziehung sei als solche primär konstitutiv für die mögliche Entdeckung der Welt« (GA 25, 315). Konstitutiv für diese sei vielmehr das »je
eigene
Dasein« und dessen Transzendenz, durch die es überhaupt erst »mit einem anderen Selbst qua Du in der Welt sein« kann. Und genau dies ist der Grund, warum Heidegger das Problem der dialogischen Sinnkonstitution nicht lösen kann. Zwar vermag Heidegger mit dem Konzept der lebensweltlichen Verweisungszusammenhänge den fraglosen Kontext von Verständigungsvorgängen thematisch zu machen. Mit dem Rekurs auf eine eigentliche Rede verwandelt er jedoch seine großartige Erkenntnis in eine Absurdität. Denn eine eigentliche Rede wäre eine Rede, die keiner mehr verstehen könnte – letztlich noch nicht einmal der, der sie zu sprechen können glaubt.
Eine solche Rede können wir im Anschluß an Wittgenstein als Privatsprache bezeichnen. Sie ist durch zwei Merkmale charakterisiert: Sie ist erstens eine Sprache, die sich nur auf »unmittelbare private« Evidenzen des Sprechers dieser Sprache bezieht, und sie ist zweitens eine Sprache, die ein anderer nicht verstehen, übersetzen oder interpretieren kann, da er prinzipiell keinen Zugang zu den privaten Evidenzen des Sprechers dieser Sprache besitzt. Eine Privatsprache ist also [99] nicht eine Sprache, die nur eine einzelne Person spricht, etwa so, wie man auch allein Schach oder Halma spielen kann. Sie bildet als Variante einer solipsistischen Bedeutungstheorie das Gegenstück zur epistemologischen Position des cartesianischen Skeptikers im Hinblick auf die Existenz der Außenwelt.
Wie Wittgenstein gezeigt hat, wäre der Sprecher einer solchen Privatsprache nicht in der Lage, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke so zu definieren, daß man sinnvoll davon sprechen könnte, er habe die sprachlichen Ausdrücke in Übereinstimmung mit ihrer jeweiligen Bedeutung gebraucht. Denn dazu bedürfte es der Bezugnahme auf die
öffentliche Praxis
des alltäglichen In-der-Welt-Seins, genauer, auf die Fähigkeit, einer Regel zu folgen. Und einer Regel, so die Pointe von Wittgenstein, kann man nicht privatim folgen. Wenn nun aber die öffentliche Praxis des alltäglichen In-der-Welt-Seins eine notwendige Bedingung dafür ist, die »Zuordnung von Zeichen und Bedeutungen« kontrollierbar zu halten, und wenn die sinnvolle Regelanwendung sich nur im Kontext der »Gepflogenheit« einer konkreten »Lebensform« verstehen läßt, dann stellt sich der Privatsprachler, sofern er sich aus dieser öffentlichen Praxis des alltäglichen In-der-Welt-Seins verabschiedet, nicht nur einfach außerhalb dieser Praxis. Er verabschiedet sich zugleich aus der intersubjektiv verstehbaren
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