Heidegger - Grundwissen Philosophie
bemüht, sein Sprachkonzept von allen pragmatischen Bewandtnis- und Verweisungszusammenhängen zu entkoppeln und frei auf sich zu stellen. 75
Der erste Schritt in diese Richtung wird in den frühen dreißiger Jahren mit einer Wende hin zum »Namen« realisiert. 76 Mit dieser Wendung verbindet sich das Ziel, das Seiende jenseits abbildtheoretischer oder pragmatischer Sprachauffassungen zugänglich zu machen. In der Folge erkennt Heidegger jedoch, daß auch mit dem Namen das »heile Ganze des weltlichen Daseins« nicht geborgen werden kann. Denn der Name rettet das Seiende jeweils nur als einzelnes. Heidegger benötigt einen sprachlichen Zusammenhang, der die Einsamkeit des Namens überwindet, ohne diesen Zusammenhang als Zusammenhang von Aussagesätzen konzipieren zu müssen. Und so setzt er auf die »nennende Leistung« der »Zeige« bzw. auf »das Nennen«, welches »enthüllt« und »entbirgt« und gleichzeitig als entbergendes Rufen ein »Verbergen« ist.
In dem Maße, wie Heidegger das einst übermächtige Dasein abrüstet, um parallel das »Wartenkönnen« und die »Zuschikkung« aufzurüsten, mutiert das einst omnipotente Dasein zum »Sammler« und »Wächter«, der sich aufs »Finden« und »Schonen« kapriziert. Und so kann Heidegger im Zusammenhang mit der seinsgeschichtlichen Umdeutung des Erschlossenheitsbegriffs sagen: Der »Logos« kann auch die »Aletheia« (Unverborgenheit) heißen. Die »Erschlossenheit von etwas« stellt Heidegger damit als Wahrheit vor, verbunden mit der Konsequenz, daß, wenn »Wahrheit […] die
Lichtung
des Seyns als Offenheit des Inmitten des Seienden« heißt, »nach [126] der Wahrheit dieser Wahrheit gar nicht mehr gefragt werden [kann], es sei denn, man meint die
Richtigkeit
des Entwurfs, was aber in mehrfacher Hinsicht das Wesentliche verfehlt. Denn einmal kann nach der ›Richtigkeit‹ eines Entwurfs überhaupt nicht gefragt werden und vollends nicht nach der Richtigkeit
des
Entwurfs, durch den überhaupt die Lichtung als solche gegründet wird. Zum anderen aber ist ›Richtigkeit‹ eine ›Art‹ der Wahrheit, die hinter dem ursprünglichen Wesen als dessen Folge zurückbleibt und deshalb schon nicht auslangt, um die ursprüngliche Wahrheit zu fassen.« (GA 65, 327)
Dies war freilich nicht Heideggers letztes Wort. Daß die »’Aλήθεια [Aletheia], die Unverborgenheit als Lichtung von Anwesenheit gedacht, […] noch nicht Wahrheit« ist, gibt er später selbst zu verstehen: »Sofern man Wahrheit im überlieferten ›natürlichen‹ Sinn als die am Seienden ausgewiesene Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Seienden versteht, […] darf die ’Aλήθεια, die Unverborgenheit im Sinne der Lichtung, nicht mit der Wahrheit gleichgesetzt werden. Vielmehr gewährt die ’Aλήθεια, die Unverborgenheit als Lichtung gedacht, erst die Möglichkeit von Wahrheit. Denn die Wahrheit kann selbst ebenso wie das Sein und Denken nur im Element der Lichtung das sein, was sie ist. Evidenz, Gewißheit jeder Stufe, jede Art Verifikation der veritas, bewegen sich schon
mit
dieser waltenden Lichtung. ’Aλήθεια, Unverborgenheit als Lichtung von Anwesenheit gedacht, ist noch nicht Wahrheit.« (SD 76) Mit der Zurücknahme der behaupteten Identität von Wahrheit und Erschlossenheit gibt Heidegger also selbst zu verstehen, daß die Sinn-Eröffnung als eine quasi transzendentale Bedingung der Möglichkeit des Bezugs auf Wahrheit nicht schon mit dieser zusammenfällt.
Im Folgenden soll nicht der Frage nachgegangen werden, ob – wie von Karl-Otto Apel behauptet und von Otto Pöggeler bestritten wird – Heidegger diese Revision unter dem Einfluß von Tugendhats Schrift
Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger
vornahm. Fest steht, daß Heidegger vier Jahre nach dem Erscheinen der Arbeit von Tugendhat die These [127] zurücknimmt, daß »die Frage nach der Wahrheit im Grunde die Frage nach der Unverborgenheit sei«. In diesem Zusammenhang liegt die entscheidende Pointe dieser Zurücknahme darin, daß Heidegger nunmehr der starken These, wonach die Unverborgenheit im Sinne der Lichtung mit Wahrheit identisch sei, mit dem genannten Argument den Boden entzieht, daß es sich bei der Unverborgenheit lediglich um eine notwendige, nicht aber schon um eine hinreichende Bedingung der Wahrheit »im überlieferten Sinn« handelt. Mit der Aufgabe dieser These in ihrem starken Sinn stellt sich die Frage nach der Wahrheit erneut in ihrer vollen Schärfe. 77 Insofern nämlich die
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