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Heidegger - Grundwissen Philosophie

Heidegger - Grundwissen Philosophie

Titel: Heidegger - Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Tietz
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thematisch gemacht werden kann. Von daher ist es durchaus konsequent, wenn Heideggers Analyse des Verstehens mit dem Verweis auf das Vorverständnis in eine Reflexion über die hermeneutischen Bedingungen der Sprache einmündet. Aber es ist sicher »einer der unglücklichsten Gedanken Heideggers, daß er in Radikalisierung von Husserls Gedanken einer vorprädikativen Erfahrung die Orientierung am lógos, an der Aussage und überhaupt am Satz, auch für ein traditionelles Vorurteil hielt […], so daß für ihn – in
Sein und Zeit
allerdings noch nicht explizit, wohl aber in seinem methodischen Vorgehen – die Orientierung am einzelnen Wort maßgebend wurde« 81 . Eine kritische Wiederholung von Heideggers großartiger Analyse der Vorstruktur des Verstehens hätte danach sein Reflexionsdefizit hinsichtlich der »immer schon« in Anspruch genommenen Voraussetzungen des Verstehens und des argumentativen Diskurses zu vermeiden, ohne die Entdeckung der geschichtlichen Voraussetzungen der Lebenswelt und damit der sprachlichen Welterschließung zu ignorieren.

[130]
Die Spätschriften
Die Kehre
    Im 1946 geschriebenen
Brief über den »Humanismus
«, in dem er sein Verhältnis zum französischen Existentialismus von Jean-Paul Sartre (1905–1980) darlegt, hat Heidegger die Position der »Kehre« erstmalig in geschlossener Form vorgestellt.
    »Versteht man den in ›Sein und Zeit‹ genannten ›Entwurf‹ als ein vorstellendes Setzen, dann nimmt man ihn als Leistung der Subjektivität und denkt ihn nicht so, wie ›das Seinsverständnis‹ im Bereich der ›existenzialen Analytik‹ des ›In-der-Welt-seins‹ allein gedacht werden kann, nämlich als der ekstatische Bezug zur Lichtung des Seins. Der zureichende Nach- und Mitvollzug dieses anderen, die Subjektivität verlassenden Denkens ist allerdings dadurch erschwert, daß bei der Veröffentlichung von ›Sein und Zeit‹ der dritte Abschnitt des ersten Teils, ›Zeit und Sein‹, zurückgehalten wurde (vgl. ›Sein und Zeit‹, S. 39). Hier kehrt sich das ganze um. Der fragliche Abschnitt wurde zurückgehalten, weil das Denken im zureichenden Sagen dieser Kehre versagte und mit Hilfe der Sprache der Metaphysik nicht durchkam […] Diese Kehre ist nicht Änderung des Standpunktes von ›Sein und Zeit‹, sondern in ihr gelangt das versuchte Denken erst in die Ortschaft der Dimension, aus der ›Sein und Zeit‹ erfahren ist, und zwar erfahren aus der Grunderfahrung der Seinsvergessenheit.« (GA 9, 327f.)
    Dies ist auch der Grund, weshalb Heidegger behauptet, die Kehre sei nicht von ihm »erfunden«. In seinem Brief an William J. Richardson stellt er klar, daß in der Kehre nicht das Ergebnis seines Denkweges zu sehen sei. »Die Kehre spielt im Sachverhalt selbst« und ist insofern keine private Angelegenheit, die eine persönliche Verirrung korrigieren würde, etwa die seiner zeitweiligen Sympathie für das Naziregime und für [131] Adolf Hitler, den der Philosoph aus dem Schwarzwald führen wollte. 1
    Hannah Arendt (1906–1975) interpretiert die Kehre als Wendung gegen die Anmaßungen des Willens zum Herrschen, deren sich Heidegger in seiner berühmt-berüchtigten Rektoratsrede schuldig gemacht hatte 2 ; und Jürgen Habermas (geb. 1929) meint, »daß Heidegger nur über seine vorübergehende Identifikation mit der Bewegung des Nationalsozialismus […] den Weg zur temporalisierten Ursprungsphilosophie der Spätzeit finden konnte« 3 . Hingegen hat Heidegger selbst immer darauf beharrt, daß die Kehre aus seiner Philosophie zu verstehen sei – daß Heidegger »seine Handlungen und Aussagen von sich als empirischer Person ab[löst] und sie einem nicht zu verantwortenden Schicksal« attributierte, bleibt davon unberührt. 4
    Heidegger, der es immer abgelehnt hat, sein Denken in zwei Phasen einzuteilen, betrachtet die Kehre, jenes »andere, die Subjektivität
verlassene
Denken« (GA 9, 327), als die folgerichtige Konsequenz des Ansatzes von
Sein und Zeit
. Dieser habe sich noch nicht von der »Sprache der Metaphysik« gelöst, so daß das »Denken im zureichenden Sagen dieser Kehre versagte«, wobei jedoch der dritte, nicht veröffentlichte Abschnitt von
Sein und Zeit
auf das Neue vorgriff. 5 Und tatsächlich kündigte sich hier bereits das Problem der Spätphilosophie an. Wurde bislang das Dasein auf die Zeit hin interpretiert, so soll nun das Sein aus der Zeit erschlossen werden. In dem Aufsatz »Was ist Metaphysik« von 1929 wird dieser Schritt vorbereitet: Die Zeit

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