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Heidegger - Grundwissen Philosophie

Heidegger - Grundwissen Philosophie

Titel: Heidegger - Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Tietz
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dem Sein« (GA 5, 295).
    Gleichviel ob die modernen Ideen im Namen der Vernunft oder der Zerstörung der Vernunft auftreten, das Prisma des neuzeitlichen Seinsverständnisses zerlegt alle normativen Orientierungen in Machtansprüche einer auf Selbststeigerung versessenen Subjektivität. So ist dann auch der »Nationalismus […] metaphysisch ein Anthropologismus und als solcher Subjektivismus«, der von seinem Gegenpart, dem »Internationalismus«, nicht überwunden werden kann, weil dieser nur die Erweiterung von jenem sei. (GA 9, 341) Amerika und Rußland, die einstigen Siegermächte über Deutschland, erscheinen nun als Gegenbewegungen dessen, was sich zwischen 1933 und 1945 mit dem Nationalsozialismus in Deutschland als »Bewegung der planetarisch bestimmten Technik und des neuzeitlichen Menschen« (GA 49, 152) abspielte. Die neuen politisch-weltanschaulichen Mächte tragen alle die gleichen Symptome der »trostlosen Raserei« der »entfesselten Technik«, die den gesamten weltpolitischen Vorgang kennzeichnet. Im Gegensatz freilich zu Amerika, das in dieser Sicht lediglich als der Rückstoß des neuzeitlichen Wesens des Europäischen auf das alte Europa erscheint, in dem »in der Vollendung der Metaphysik durch Nietzsche wenigstens Bereiche [141] der wesentlichen Fragwürdigkeit einer Welt vorgedacht sind, in der das Sein als der Wille zum Willen zu herrschen beginnt« (GA 5, 291f.), kommt Rußland immerhin das Verdienst zu, im Anschluß an Marx einen bewußten Materialismus zu praktizieren, dem zufolge »alles Seiende als Material der Arbeit erscheint«, worin sich immerhin »eine elementare Erfahrung dessen ausspricht, was weltgeschichtlich ist« (GA 9, 340).
    Nicht in der liberalen Tradition des Westens, sondern in der totalitären des Ostens bringt sich der Wille zum Willen bewußt, gewollt und ganz zum Austrag – weshalb Heidegger später sogar die These relativiert, daß Nietzsche am Ende des abendländischen Denkens steht. Denn nun meint er, mit Marx sei »die Position des äußersten Nihilismus erreicht« (GA 15, 393), insofern der Marxismus um die Wirklichkeiten des Zeitalters weiß, nämlich um die wirtschaftliche Entwicklung und die Rüstung, »die sie verlangt«. (GA 15, 352) Rußland redet offen über das, worüber Amerika nur verschämt schweigt.
    Die prägende Signatur der Moderne erscheint so als die letzte Konsequenz der neuzeitlichen Metaphysik der Subjektivität, eben weil es sich bei der Praxisform totalitärer Herrschaft nur um die Kehrseite des erkennenden und handelnden Subjekts handeln soll, das seit Descartes im Zentrum des philosophischen Diskurses der Neuzeit steht. Heidegger, der mit seiner Zeitdiagnose die metaphysische Dramaturgie des gesamten Stücks entlarven will, in dem auch die beiden Weltmächte ihren Auftritt haben, kann freilich nicht mehr wie Nietzsche einem ästhetisch erneuerten Dionysos-Mythos die Überwindung des Nihilismus zutrauen. Denn die von Nietzsche behauptete Verquickung von Geltung und Macht erscheint ihm nur darum skandalös, weil sie den glorifizierten Willen zur Macht behindert, der bei Nietzsche mit Konnotationen der künstlerischen Produktivität besetzt ist. Zudem ist Heidegger vorsichtig genug, um den paradoxen Konsequenzen einer sich selbst überbietenden Vernunftkritik nicht geradewegs aufzusitzen. Er will das Ziel, das Nietzsche mit einer totalisierenden Vernunftkritik verfolgte, mit einer immanent [142] ansetzenden Destruktion der abendländischen Metaphysik erreichen. Spannte Nietzsche den Bogen des dionysischen Geschehens zwischen altgriechischer Tragödie und neuer Mythologie aus, so verlegt Heidegger dieses Geschehen vom Schauplatz einer ästhetisch erneuerten Mythologie wieder zurück auf den der Philosophie – und zwar so, daß die abendländische Metaphysik zum Schauplatz für die Erstarrung und die Erneuerung der dionysischen Kräfte wird. Heidegger will die Heraufkunft und die Überwindung des Nihilismus als Anfang und als Ende der Metaphysik beschreiben.
    Zwar meint auch er, daß sich die instrumentelle Vernunft an Macht assimiliert hat, wodurch sie ihre kritische Kraft eingebüßt hat. Die Enthüllung dieses Tatbestandes kann und will Heidegger aber nicht mehr als einen Akt der Selbstreflexion, die Überwindung der Metaphysik nicht als einen letzten Akt der Enthüllung verstehen. Denn solch eine Überwindung der Metaphysik, wie sie in unterschiedlicher Weise von Carnap und Theodor W.Adorno (1903–1969) versucht wurde, gehört selbst noch

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