Heidegger - Grundwissen Philosophie
9, 405).
Der Nihilismus, der für Heidegger in zweideutiger Weise das Ende der Metaphysik als deren Vollendung und als deren Vernichtung anzeigt, vermag es nicht, die griechische Erfahrung in ihrem ursprünglichen Sinne freizulegen. Zwar meint Heidegger, daß Nietzsche der Denker sei, der »mit seiner Metaphysik an den Anfang der abendländischen Philosophie zurückkommt« (GA 6.1, 16) und als »Künstler-Philosoph« [145] quasi die Gegenbewegung zum Nihilismus anführt. In dessen machttheoretischer Entlarvung des Aufklärungsrationalismus und der Philosophie der Subjektivität sieht Heidegger jedoch selbst noch einen Rest von Aufklärung versteckt – im
Brief über den »Humanismus
« schreibt Heidegger, daß Nietzsche zwar die Heimatlosigkeit tief erfahren habe, daß er aber innerhalb der Metaphysik keinen anderen Ausweg als die Umkehrung der Metaphysik gesehen habe, die sich jedoch in Wahrheit lediglich als die konsequente »Vollendung der Ausweglosigkeit« darstellt. (GA 9, 338)
Der andere Anfang läßt sich jedoch nicht als »Gegenrichtung zum ersten« verstehen, sondern »steht
als anderes
außerhalb des Gegen und der unmittelbaren Vergleichbarkeit« (GA 65, 187). Dies will besagen, daß das Denken des anderen Anfangs »nicht einfach dessen denkerische Negation sein kann, weil sie an das zu Negierende gekettet bleibt. Und deshalb genügt eine
Gegen
-bewegung niemals für eine wesentliche Wandlung der Geschichte. Gegen-bewegungen verfangen sich in ihrem eigenen Sieg, und das sagt, sie verklammern sich in das Besiegte.« (GA 65, 186)
Der andere Anfang, der den Blick in den Sog der Zukunft ziehen soll, ist aus der Herkunft zu denken, eben weil Zukunft Herkunft ist. Einzig das Zurückkehren zu den Ursprüngen, zur »Wesensherkunft«, verheißt »das Neue«. Heidegger sieht nur vor dem Beginn der westlichen Metaphysik durch Platon und Aristoteles die Verheißungen eines ersten Anfangs, für den die Namen von Anaximander (611–547 v. Chr.), Parmenides (um 515 v. Chr.) und Heraklit (535–475 v. Chr.) stehen. Und er meint, daß das Denken eines anderen Anfangs sich mit Bezug auf den ersten Anfang »ereignen« soll. Es ist die Idee eines neuen Griechentums, die er mit dem Denken eines anderen Anfangs beschwört, insofern es sich um eine Wiederholung des bei den Griechen Mitgedachten als Zukunft handeln soll. »Daß die Griechen denkerisch, dichterisch, staatlich der Anfang waren, wird am härtesten dadurch erwiesen, daß das Ende, in dem wir heute stehen, nichts anderes ist als der [146] Abfall von jenem Anfang, das wachsende Nichtmehrgewachsensein.« (GA 45, 115) Dergestalt ist die Geschichte der abendländischen Metaphysik nicht nur eine Geschichte des Abfalls, sondern auch eine des Verfalls. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Verfallsgeschichte – wenn es denn überhaupt das gibt, was Heidegger immer wieder »die abendländische Metaphysik« nennt. 6
Denken und Dichten
Mit Rekurs auf Friedrich Hölderlin (1770–1843) soll sich der Bann des Objektivismus brechen und neue Orientierung gewinnen lassen. Heidegger entlehnt Hölderlin die Denkfigur des abwesenden Gottes, um das Ende der Metaphysik als Vollendung und damit als untrügliches Anzeichen eines anderen Anfangs begreifen zu können. Hölderlins Dichtung soll in den anderen Anfang führen.
»Wenn […] überhaupt ein Dichter für seine Dichtung die
denkerische
Eroberung fordert, dann ist es Hölderlin, und das keineswegs deshalb, weil er als Dichter beiläufig ›auch Philosoph‹ war und sogar einer, den wir ruhig neben Schelling und Hegel rücken dürfen, sondern: Hölderlin ist einer unserer größten, d. h. unser zukünftigster
Denker
, weil er unser größter
Dichter
ist. Die dichterische Zuwendung zu seiner Dichtung ist nur möglich als
denkerische
Auseinandersetzung mit der in dieser Dichtung errungenen
Offenbarung des Seyns
.« (GA 39, 5 f.)
Das Denken ist also der Dichtung nicht äußerlich, da es ihren Selbstbezug ausmacht. Er wendet sich dem Anfang zu, von dem er seine Bestimmung erhält. Die Zuwendung zum Anfang macht das Denken und Dichten zu einem Anfänglichen. Gleichwohl sieht Heidegger eine Gefahr, die der Dichtung durch das Denken droht, die Gefahr des »Zerredens und Zerdenkens der Dichtung«, und zwar »um so mehr, je weniger wir noch wissen
Dichten, Denken
und
Sagen
, erfahren haben, je [147] weniger wir erfahren haben, wie und warum diese drei Mächte unserem ursprünglichen, geschichtlichen Dasein zuinnerst zugehören.«
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