Heidelberger Lügen
verschränkte er die Arme vor der Brust, als ginge ihn alles Weitere nichts mehr an.
Das Erste, was mir auffiel: Hörrle war nicht hier. Nichts war hier so, wie ich es erwartet oder befürchtet hatte. Auf einem hellen Rattanstuhl in der Ecke saß Cornelia Johansson. Ihre Augen quollen fast aus den Höhlen, die Adern am Hals drohten zu platzen, das Gesicht war brandrot. Die Hände waren mit Klebeband hinter der Stuhllehne gefesselt. Um die Brust ein breiter Gürtel, an dem in regelmäßigen Abständen Päckchen befestigt waren. Diese waren reihum durch Drähte miteinander verbunden, welche an einem kleinen elektronischen Gerät von der Größe einer Zigarettenschachtel endeten. Aus diesem Gerät, das sich an der Seite des Gürtels befand, ragte ein dünner, glänzender Stab, eine Antenne. Ein grünes Lichtlein blinkte harmlos.
Ich hatte natürlich erwartet, Hörrle hier zu treffen. Ich hatte befürchtet, dass er Beerbaum eine Pistolenmündung ins Genick hielt. Ich hatte damit gerechnet, dass er mit mir reden wollte. Nein, nichts war so, wie es sein sollte.
Beerbaums Blick ging über meinen Kopf hinweg zu einem sonnengelb lackierten Regal rechts neben der Tür. Dort entdeckte ich ein offenbar eilig zusammengebasteltes Gerät, aus dem eine Linse lugte.
»Er kann alles sehen und hören, was hier passiert«, sagte er leise.
Plötzlich war ich doch nicht mehr so sicher, nicht in Lebensgefahr zu schweben.
»Wenn wir nicht genau das tun, was er sagt, dann sprengt er Conny in die Luft«, flüsterte Beerbaum und hustete. »Und wenn er irgendwo Polizei sieht, wenn er irgendwelche elektronischen Geräte anpeilt, Sender, Wanzen, passiert dasselbe. Wenn das grüne Lämpchen an diesem verfluchten Gürtel dort rot wird, dann haben wir fünf Sekunden, um zu verschwinden, hat er mir vorhin erklärt.«
Fünf Sekunden, das war so gut wie nichts. Bis man begriffen hatte, dass Gefahr drohte, waren zwei davon bereits vergangen. Aufspringen, die Tür aufreißen, dauerte eine weitere. Mit Glück würde ich das untere Ende der Treppe erreichen, bevor die Bombe explodierte. Da konnte ich ebenso gut sitzen bleiben.
»Seit wann ist er weg?«
»Eine halbe Stunde schon.«
Cornelia Johanssons Pupillen wurden noch eine Spur größer. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, und kaum zu atmen. Sie fürchtete natürlich, mit der kleinsten Erschütterung die Bombe zur Explosion zu bringen.
Ich sank auf den nächsten Stuhl. »Was verlangt er? Geht es um Geld? Darüber kann man verhandeln.«
»Nein.« Beerbaum räusperte sich zweimal. »Er will kein Geld. Ich soll Ihnen nur etwas sagen, darum geht es ihm. Dann lässt er sie leben.« Sein Adamsapfel hüpfte, als er mühsam schluckte. »Aber wenn irgendwas schief läuft, dann bringt er sie eiskalt um, hat er gesagt.« Schon wieder räusperte er sich. Er schien den Kloß in seinem Hals nicht loszuwerden. »Das Gerät da, die Zündelektronik, wenn das die Funkverbindung verliert, dann löst es den Sprengsatz automatisch aus. Und wenn Hörrle nicht alle paar Sekunden einen bestimmten Knopf am Sender drückt, genauso. Ihre Leute sollten ihm also nicht zu nahe kommen.«
Nach meiner Schätzung würde die Sprengstoffmenge ausreichen, um den kompletten Dachstuhl vom Haus zu blasen. Fieberhaft überlegte ich hin und her, suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus diesem Dilemma und fand keinen, weil es keinen gab. Schon wieder befand sich Hörrle in einer unangreifbaren Situation. Sollte ich versuchen, die Frau zu befreien, dann brauchte er nur in der Ferne einen Knopf zu drücken. Sollte ich davonlaufen, dann würde ich vielleicht überleben. Aber Beerbaum und seine Frau wären mit Sicherheit tot. Auf seine perverse Weise war Hörrle ein Genie. Wieder blieb mir nichts anderes übrig, als nach seinen Regeln zu spielen.
»Und noch was soll ich Ihnen sagen«, fuhr Beerbaum fort. »Er weiß, dass Sie ein Handy in der Tasche haben. Sie sollen keinen Unsinn machen damit.«
Ich unterdrückte ein Stöhnen. Gleichgültig, was ich überlegte, Hörrle wusste es offenbar schon vor mir. Da er mit uns in Funkverbindung stand, würden meine Leute natürlich in Kürze seinen Standort anpeilen. Aber es würde uns nichts nützen. Im Gegenteil, sowie er feststellte, dass sie ihm zu nahe kamen, würde er den roten Knopf drücken. Was mir aber die größten Sorgen machte, war der Umstand, dass meine Kollegen nicht wissen konnten, wie es hier drin aussah, in welcher Gefahr wir schwebten. Ich konnte nur hoffen, dass Vangelis keine
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