Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
Vom Netzwerk:
Telefonbuch.
    »Bierbrauer, Bierbrodt, Bierhalter, Bierherr …«
    »Puh«, stöhnte Vangelis.
    Er ließ das Buch auf den Boden klatschen. »Was ist mit Ilsebilse?«
    »Verschwunden. Tot. Abgetaucht. Jedenfalls ist sie telefonisch nicht zu erreichen.«
    »Hat es Sinn, die Schweizer Kollegen einzuschalten? Vielleicht gibt’s Nachbarn, die wissen, wo die Herrschaften stecken?«
    Ich nickte abwesend und unterdrückte ein Gähnen. Es klopfte. Unser Abendessen kam. Die Haare des Kollegen waren nass. Offenbar regnete es wieder. Jetzt erst merkte ich, wie hungrig ich war. Irgendwo in der Ferne schlug eine Kirchturmuhr halb acht.
    Vangelis und ich rissen die Kartons auf und fielen über unsere Pizzen her. Balke hatte immer noch keinen Hunger. Er sprang auf und begann, mit den Händen auf dem Rücken Kreise zu drehen. Von ferne hörte ich den Verkehr auf dem Römerkreis. Hin und wieder eine Straßenbahn. Balke nahm das Radarfoto von meinem Schreibtisch und betrachtete es.
    »So siehst du also aus, Mädchen«, murmelte er. »Man traut dir so schlimme Sachen gar nicht zu.«
    Achtlos warf er das Foto zurück und lief wieder herum. Die Pizza war nicht mehr ganz warm, schmeckte auch nicht besonders, machte aber satt. Ich spürte, wie ich wieder zu Kräften kam. Unten auf unserem Parkplatz fuhr ein Einsatzwagen mit Blaulicht und gellendem Martinshorn an, vermutlich zu irgendeinem Verkehrsunfall. Plötzlich war es still. Balke war stehen geblieben. Zwei Sekunden, drei, dann drehte er sich um. Sah uns abwechselnd an.
    Wir hörten auf zu kauen.
    »Stellen Sie sich vor, Herr Gerlach, Sie sitzen in McFerrins Mercedes«, sagte er sehr langsam. »Sie fahren an den Rhein, an eine hübsche, einsame Stelle, und versenken die Karre.« Sein Blick hatte sich an einem Punkt an der Wand festgesogen. »So weit, so gut. Aber was nun? Laufen Sie nach Hause? Nehmen Sie den Zug? Nachts um zwei?«
    In meinem Bauch breitete sich ein taubes Gefühl aus. Ich fühlte mich unendlich dämlich.
    »Sie müssen zu zweit gewesen sein«, murmelte Balke. »Sie müssen mit zwei Autos unterwegs gewesen sein.«
    Hektisch wühlte ich in einem meiner Papierberge. Einiges kam ins Rutschen. Aber dann hatte ich gefunden, was ich suchte. Mit feuchter Hand wählte ich eine Nummer. Mein Puls raste. Die anderen beobachteten mich schweigend. Auch Vangelis hatte plötzlich keinen Appetit mehr.
    Es war nicht ganz einfach, bei der Autobahnpolizei jemanden zu finden, der sich für zuständig hielt. Kleine Verkehrsdelikte bearbeite man eigentlich nur an Werktagen zwischen acht und fünf, hörte ich, und heute sei ja schließlich Sonntag. Und zudem die ganz falsche Uhrzeit. Selten habe ich in Ausübung meines Dienstes so gebrüllt. Endlich hatte ich einen Polizeiobermeister am Apparat, der sich für befugt hielt, mir Auskunft zu geben. Nach seiner Stimme zu schließen, hatte man ihn wecken müssen.
    »Aber wenn Sie das Foto doch schon haben, was wollen Sie denn dann noch? Da wird immer nur ein Foto gemacht, verstehen Sie? Immer nur eins.«
    Ich versuchte, ruhig zu bleiben, erklärte es ihm noch einmal.
    »Aber wieso denn jetzt auf einmal zwei Autos?«, nörgelte er. »Auf jedem Foto ist immer nur ein Auto, verstehen Sie? Sonst könnte man ja …«
    »Ganz einfach«, erklärte ich dem Trottel durch die Zähne. »Wir nehmen an, dass unmittelbar vor oder hinter dem Mercedes ein zweites Fahrzeug Ihre Radarkamera passiert hat. Und vermutlich war auch dieses zu schnell.«
    »Aber dann müsste ich ja auch ein Foto von dem Zweiten haben.«
    »Genau, Sie sagen es«, stöhnte ich.
    »Warum sagen Sie das denn nicht gleich?«
    Er brummelte noch irgendwas von Kripo-Angebern und nicht mehr auszuhaltendem Stress, versprach aber, sich um die Sache zu kümmern. »Kann aber ein bisschen dauern. Ich bin hier allein, und …«
    Manchmal bin ich ein Schwein. Manchmal genieße ist es, Einfluss zu haben und Druck ausüben zu können. »Ich gebe Ihnen genau zehn Minuten«, erklärte ich ihm sanft. »Ich werde hier beim Telefon warten, und wenn ich in sechshundert Sekunden das Kennzeichen dieses zweiten Wagens nicht kennen sollte, dann können Sie sich auf das Disziplinarverfahren Ihres Lebens freuen.«
    Balke strahlte über das ganze Gesicht und Vangelis lächelte leise in sich hinein.
    Es dauerte keine zehn Minuten. Wir mussten nur vier Minuten und dreiundzwanzig Sekunden warten. Und ich bin sicher, ich habe noch niemals einen Hörer so schnell am Ohr gehabt. Entsprechend verwirrt war mein

Weitere Kostenlose Bücher