Heidelberger Lügen
gerade den Anruf zurückverfolgen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte ich. »Ich weiß, wo ich ihn finde.«
»Hörrle verlangt, dass Sie in einer Viertelstunde dort sind. Allein und unbewaffnet.«
Balke wurde blass. »Chef, das können Sie nicht machen! Das wäre Selbstmord!«
Wir diskutierten kurz. Erwogen unsere Möglichkeiten. Dann gab ich meine Anweisungen und machte mich auf den Weg.
Im kalten Licht der Straßenbeleuchtung fuhr ich die nassglänzende Berliner Straße in Richtung Norden. Ich hatte es nicht eilig. Seit Beerbaums Anruf waren schon mehr als zehn Minuten vergangen. Ich würde viel zu spät kommen. Aber das schadete nichts. Ein Profi wie Hörrle würde wegen einer kleinen Verspätung nicht gleich durchdrehen. Noch herrschte reger Verkehr.
An der Ampel zur Dossenheimer Landstraße musste ich halten. Von hinten näherte sich mit hoher Geschwindigkeit ein weißer Audi, überholte trotz Rotlicht und verschwand in der Dunkelheit. Vangelis und der Kollege, der sie begleitete, hatten auf meinen Rat hin auf Blaulicht verzichtet. Dennoch würden sie lange vor mir am Ziel sein. Plötzlich begann es wieder zu regnen. Das war nicht gut für uns. Die Ampel wurde grün.
Inzwischen hatte ich erfahren, dass Cornelia Johansson und Jakob Beerbaum verheiratet waren. Sie hatte allerdings ihren Mädchennamen beibehalten. Als Geschiedene war sie vielleicht nicht mehr so optimistisch, was die Dauerhaftigkeit von Beziehungen betrifft. Als ich das Ortsschild von Dossenheim passierte, summte das Handy in meiner Hemdtasche. Es war Vangelis. Sie waren bereits angekommen.
»Wir sind jetzt im Wald hinter dem Haus. Im ersten Obergeschoss ist Licht, aber die Vorhänge sind zugezogen. Sonst ist alles dunkel.«
Die beiden würden nun als eng umschlungenes Liebespaar im Regen spazieren gehen und für mich die Lage sondieren. Vangelis’ Begleiter würde den Job lieben, sie weniger. Aber auch sie war ein Profi.
»Die Vorderseite ist komplett dunkel«, hörte ich ihre Stimme wieder, während ich der schmalen Straße durch Schriesheim in Richtung Wilhelmsfeld folgte. »Nichts Auffälliges. Alles ist ruhig und vollkommen menschenleer.«
Links tauchte ein Wegweiser auf: »Branich«. Ich bog ab, die Straße wurde noch schmaler, steil und kurvig. Wohlhabende, heimelig beleuchtete Häuser am Hang. Endlich kam der Parkplatz des Heinrich-Sigmund-Gymnasiums in Sicht. Ich stellte den Peugeot ab und ging die letzten Meter zu Fuß.
24
»Herr Beerbaum?«
Die weiß lackierte Haustür hatte sich leise quietschend geöffnet, noch bevor ich den Klingelknopf berührte.
»Gott sei Dank«, flüsterte der große, übergewichtige Mann und reichte mir flüchtig eine kräftige, schweißfeuchte Hand. Bei seinem Anblick verstand ich, wie Meyers den Namen als »Bierbauch« hatte missverstehen können.
»Kommen Sie rein! Bitte schnell!«
Der Flur war dunkel. Vermutlich hatte Hörrle verboten, Licht zu machen. Ich war auf diese merkwürdig angespannte Art ruhig – wie immer in kritischen Situationen. Die Aufregung kommt ja erst später, wenn es vorbei ist und man sich zu wundern beginnt, dass man noch lebt. Wenn man Zeit und Muße hat, sich auszumalen, was alles hätte schief gehen können. Beerbaums Rasierwasser war wirklich eine Katastrophe.
Andererseits kannte ich Vitus Hörrle inzwischen gut genug, um mich sogar halbwegs sicher zu fühlen. Er war kein Irrer, der sinnlos mordet, kein Fanatiker, der der Welt etwas beweisen muss. Hörrle war trotz allem, was er sich schon hatte zuschulden kommen lassen, ein kühler Rechner. Er verfolgte einen Plan, und dieser Plan war gewiss nicht, mich zu töten. Wenn mir etwas zustoßen sollte, dann höchstens im Rahmen eines Betriebsunfalls.
Beerbaum stieg erstaunlich behände eine breite Treppe hinauf, die nur der blasse Schein einer Straßenlaterne durch ein Fenster dürftig beleuchtete. Oben öffnete er eine Tür, und wir betraten ein geräumiges, hell erleuchtetes Zimmer, dessen Fenster zum Garten gingen. Wie Vangelis mir schon berichtet hatte, waren die Vorhänge zugezogen. Hübsche, beige Leinenvorhänge, wie ich automatisch registrierte. Am Tag, bei Sonnenschein, musste dieser Raum sehr gemütlich sein. Hinter dem ausgedehnten Garten begann der lichte Eichenwald, das wusste ich von meinem ersten Besuch. Es roch nach Terpentin und Waschmittel.
Schnaufend blieb mein Führer mitten im Raum neben einer Staffelei stehen, drehte sich zu mir um und wies mit einer hilflosen Bewegung nach rechts. Dann
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