Heidelberger Lügen
mich daran so beunruhigte: Das war keine Frau, die das blaue Kleid trug, sondern eine Ankleidepuppe ohne Kopf. Und sie berührte den Boden nicht, sie schwebte.
Ich sah auf die Uhr. Eine gute Viertelstunde war ich schon hier. Zeit, zum Ende zu kommen. »Okay. Diesen Teil der Geschichte glaube ich Ihnen. Wie das alles zu bewerten ist, wird das Gericht entscheiden. Aber Sie haben Recht, Mord war es wohl kaum. Kommen wir zu McFerrin.«
»Es ist so eine schreckliche Geschichte«, flüsterte Cornelia Johansson. »So schrecklich. Alles wurde einfach immer nur schlimmer und schlimmer, und dabei wollten wir doch …«
»Bitte der Reihe nach.« Beunruhigt beobachtete ich Jakob Beerbaum. Sein Mund bewegte sich stumm, als würde er beten. Der glasige Blick irrte ziellos umher. Die Hand auf seiner Brust zitterte plötzlich stärker. Verkrampfte sich. Und dann sackte er mit einem schnarchenden Geräusch vornüber.
»Herr Beerbaum?« Ich erhob mich zögernd. »Ist Ihnen nicht gut?«
Sofort schnarrte Hörrles Stimme: »Hinsetzen! Der simuliert!«
Ich achtete nicht auf seine Worte, sondern durchquerte den Raum und ging vor dem aschfahlen Mann in die Hocke. Der Puls am Hals war sehr flach und viel zu schnell.
»Hinsetzen!«, brüllte Hörrle. »Sofort!« Es war nicht zu überhören, dass er bei einer Armee als Ausbilder gedient hatte.
»Wollen Sie noch jemanden umbringen?«, fragte ich kalt zurück. »Der Mann braucht einen Arzt, das sehen Sie doch!«
Beerbaums Atmung war kaum zu spüren. Ich erinnerte mich an meinen letzten Erste-Hilfe-Kurs. Den Bewusstlosen flach hinlegen, Beine hoch. Also zerrte ich den schweren Körper aus dem Schaukelstuhl, legte ihn so sanft es ging vor der Staffelei auf den Rücken, die Unterschenkel auf den Stuhl, und hoffte, dass alles so richtig war. Sicherheitshalber fühlte ich noch einmal den Puls. Er schien immerhin nicht schwächer zu werden. Einige Minuten würde er hoffentlich ohne ärztliche Versorgung überleben. Ich ging zu meinem Platz zurück.
»Wir müssen uns wirklich beeilen«, sagte ich zu der Frau, die mich die ganze Zeit entsetzt beobachtet hatte. Vermutlich hatte sie jede Sekunde mit der Explosion, mit ihrem Tod gerechnet. Aber jetzt, so kurz vor dem Ende, würde Hörrle seinen Erfolg nicht zunichte machen, indem er seine einzige Zeugin in die Luft sprengte.
»Wie war das also mit Dean McFerrin?«
Blicklos starrte sie durch mich hindurch. »Irgendwo musste dieses verfluchte Geld doch sein, nicht wahr? Das konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.«
»Und Sie dachten, McFerrin hat es.«
Das grüne Lämpchen blinkte unermüdlich. Was wohl geschah, wenn die Batterie leer war? Frau Johansson schwieg mit einem Gesichtsausdruck, als würde sie auf innere Stimmen lauschen.
Ich versuchte, ihr auf die Sprünge zu helfen. »An dem Abend, als er nach Bad Friedrichshall gefahren ist, sind Sie ihm jedenfalls gefolgt. Ich habe Ihren Wagen auf einem Video gesehen.«
Sie nickte nachdenklich. »Wir waren am Ende, verstehen Sie? Völlig am Ende! Jakob hatte so viel Geld verloren. Wir hätten es so dringend gebraucht!«
»Vielen Menschen geht es so. Aber die wenigsten werden deshalb zum Mörder«, versetzte ich grob.
Beerbaums Augen waren geschlossen, der Mund halb offen. Noch atmete er.
»Er hat solches Pech gehabt mit Aktien.« Sie begann, lautlos zu schluchzen. »Und von Monat zu Monat wurde es schlimmer. Auf einmal hat er nur noch Pech gehabt. Anfangs konnte er noch Immobilien verkaufen, ein Mietshaus in München, ein Bürogebäude in Köln. Das gab ein wenig Luft. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Banken wieder ihre freundlichen Briefe schicken würden.« Sie schloss die Augen, atmete stoßartig. »Vor ein paar Wochen war es dann soweit. Sie verlangen zweihunderttausend, bis Anfang Februar. Und da ist Jakob wieder zu McFerrin gegangen. Sie haben sich irgendwo getroffen, in irgendeinem Lokal. Aber Dean hat nicht mal mit ihm geredet.« Sie versuchte, vernehmlich zu sprechen, ohne dabei eine Erschütterung zu erzeugen. Die Muskeln an ihrem Hals traten hervor durch die Anstrengung. »Am nächsten Morgen, das war der Montag, ist Jakob nach Oberhausen gefahren. Mit dem Lancia. Er hat da noch ein kleines Mietshaus, das wollte er verkaufen, hat er gesagt. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Vielleicht gehört ihm dieses Haus auch längst nicht mehr. Ich habe den ganzen Tag nichts von ihm gehört. Das ist nicht ungewöhnlich, wenn er Verhandlungen hat. Aber als er sich abends
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