Heidelberger Lügen
haben. Noch kurz vor dem Crash haben sie ihm den Tipp gegeben, in Aktien einzusteigen. Mit Immobilien, das lief ja schon lange nicht mehr so. Eigentlich konnte er sich das damals schon gar nicht mehr leisten. Er hat gedacht, es ist die Rettung. Aktien, auf Kredit hat er Aktien gekauft, auf Kredit! Internetfirmen, todsichere Sache, hieß es. Jeder, der sich nicht seinen Teil vom Kuchen hole, sei ein Dummkopf. Ein Jahr später hat er schon zwei Millionen Schulden gehabt. Und diese Anlageberater, wissen Sie, was die machen? Mit den Achseln zucken die. Das ist nun mal das Risiko bei solchen Investments, hieß es. Das weiß man doch.«
Die Gier. Wie viele Menschen hatte dieser Trieb, der unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft so zuverlässig am Funktionieren hält, schon ins Unglück gestürzt? Wie viele mochten es diesmal sein?
Cornelia Johansson war noch nicht fertig. »Der Pfändungsbescheid von der Bank liegt unten im Wohnzimmer. In acht Wochen müssen wir ausziehen. Falls wir dann noch leben. Das Haus wird versteigert. Und wir werden trotzdem Schulden haben bis an unser Lebensende.«
»Hat er Ihnen erzählt, weshalb er McFerrin umgebracht hat?«
»Er hat ihn nicht umgebracht!« Mit fiebertrübem Blick sah sie mir in die Augen. »Sie hatten Streit! McFerrin wollte nichts wissen von dem Geld. Dann hat er Jakob angegriffen, und da hat er sich gewehrt.«
»Was ist sonst geschehen an diesem Abend?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, McFerrin ist irgendwo hingefahren, und Jakob ist ihm gefolgt. Erst hat er gedacht, es geht wieder zu dem Hotel. Sören hat das Geld vielleicht da irgendwo versteckt, vergraben, was weiß ich. Aber Dean ist vorbeigefahren. Später, auf der Rückfahrt, hat Jakob ihn angehalten, es hat Streit gegeben, und er musste sich verteidigen. Es war Notwehr! Er hat es geschworen, es war Notwehr!«
Beerbaum schien jetzt noch blasser zu sein als zuvor. Auf seiner Stirn perlten Schweißtropfen. Aus seinem Mundwinkel rann Speichel.
»Wir müssen Schluss machen«, sagte ich in die Kamera. »Sie haben gehört, was Sie wollten. Schalten Sie endlich dieses Ding ab.« Ich wies auf das kleine, so harmlos blinkende Gerät, das uns jede Sekunde töten konnte.
Aber Hörrle schwieg. Cornelia Johansson starrte so traurig auf die silberfarbenen Pumps an ihren Füßen, als wollte sie für immer von ihnen Abschied nehmen. Jakob Beerbaum atmete kaum noch. Und während ich darauf wartete, wie es nun weitergehen, wie Hörrle reagieren würde, beschlich mich eine unerklärliche Unruhe, eine Unzufriedenheit, die ich zunächst nicht zu deuten wusste. Erst nach einiger Zeit wurde mir klar, was nicht stimmte. Wir hatten an McFerrins Leiche keinerlei Spuren gefunden, die auf ein Handgemenge, auf einen Kampf hindeuteten. Also hatte Cornelia Johansson nicht die Wahrheit gesagt. Oder ihr Mann hatte sie belogen. Beerbaum war nicht hinter McFerrin hergefahren, um mit ihm zu diskutieren, um ihn vielleicht doch noch zu überreden, ihm ein wenig von Kriegels Beute abzugeben. Er hatte ihn gesucht und gefunden, um ihn zu töten. Warum? Stiegen dadurch seine Chancen, doch noch an das verschwundene Geld zu kommen? Gewiss nicht. Es musste um etwas anderes gehen. Um etwas völlig anderes.
Der Wasserhahn tropfte im Rhythmus einer alten Standuhr, der die Zeit längst gleichgültig geworden ist. Ich fühlte mich erschöpft, sterbensmüde und zugleich aufgewühlt. Nein, diese Geschichte stimmte nicht.
Es fehlte noch das letzte Kapitel.
26
Unvermittelt begann Cornelia Johansson zu wimmern wie ein verlassenes Kind, das sich in den Schlaf weint. Ihre Schultern bebten und zuckten. Beerbaum lag regungslos da. Wie lange schon? Fünf Minuten? Zehn? Eine Viertelstunde? Das Tropfen des Wasserhahns schien lauter geworden zu sein.
Auf einmal wieder die Stimme der Frau. Tonlos. Hoffnungslos. »Es ist … Es war …« Sie kaute auf der Unterlippe. Dann sah sie auf. Starrte voller Abscheu auf ihren Mann. »Er war’s! Er hat sie umgebracht!«, keuchte sie, plötzlich wieder voller Hass und ohne jede Rücksicht auf den Sprengstoff an ihrer Brust. »Er war’s! Er!«
Das grüne Lämpchen erlosch. Es wechselte nicht die Farbe, was Alarm bedeutet hätte, es ging einfach aus.
Ich verstand nichts.
»Wen?«, fragte ich und sah abwechselnd sie und Beerbaum an. »Wen hat er umgebracht?«
Ihre Worte waren fast nicht zu hören. Erst beim zweiten Mal verstand ich: »Seine Schwester!«
Ich begriff noch immer nicht. Noch eine Tote? Hatte Hörrle eine
Weitere Kostenlose Bücher