Heidelberger Lügen
den Bermudas oder sonst wo mit deinen Gedanken. Aber nicht bei mir.«
»Das mag sogar sein«, gab ich zu. »Montag war ein schrecklicher Tag. Ach was, hier gibt es zurzeit nur schreckliche Tage. Aber ich habe eine Idee, wie ich mein Vergehen vielleicht wieder gutmachen kann.«
»Komme mir nicht mit Blumensträußen oder Candle-Light-Dinner! Du weißt, ich hasse Blumen. Außerdem bin ich auf Diät.«
»Seit wann machen Blumensträuße dick?«
Ich schilderte ihr das Schlosshotel und seine malerische Lage in den grünen Hügeln über dem Neckar. »Und vorhin habe ich erfahren, dass dein Göttergatte ein paar Tage verreist ist. Was hältst du davon? Hättest du Lust?«
»Ich habe schon alles vorbereitet. Er weiß, dass ich übers Wochenende nach Darmstadt fahre, um Viola zu besuchen, und er mich nur über das Handy erreichen wird. Wann fahren wir?«
»Moment mal, woher hast du gewusst …?«
»Dass er wegfährt, weiß ich schon ein wenig länger als du. Das wollte ich dir ja am Montag erzählen. Und außerdem wollte ich dir vorschlagen, die Gelegenheit zu nutzen und uns ein paar schöne Tage zu machen. Aber dir kann man ja nichts erzählen. Du hörst einem ja nicht zu.«
»Die Mädchen«, fiel mir ein. »Was mache ich mit denen?«
»Vierzehnjährige können ein Wochenende ohne Vater überleben.«
Vermutlich würden die beiden sogar froh sein, für einige Zeit sturmfreie Bude zu haben.
»Ich schlage vor, wir treffen uns am Bahnhof«, fuhr Theresa fort. »Mein Zug geht um halb fünf. Die Fahrkarte habe ich schon gekauft und meinem Göttergatten ausführlich gezeigt, damit alles schön glaubwürdig aussieht.«
Obwohl es draußen immer noch regnete, war die Welt plötzlich wieder in Ordnung. Die Aussicht, mit Theresa endlich einmal länger als einige Stunden zusammen zu sein, schien mir das Verlockendste, was das Leben zu bieten hatte. Nicht ständig auf die Uhr sehen, nicht aus dem Bett springen müssen, weil ihr Mann sie oder meine Töchter mich erwarteten. Endlich einmal Arm in Arm einschlafen, morgens ein Bad teilen, beim Frühstück zusammen lachen. Zeit haben füreinander. Ein ganzes Wochenende. So unvorstellbar viel Zeit.
Ich griff zum Telefon. Die Dame an der Rezeption erinnerte sich sofort an mich.
»Sie können wählen zwischen Doppelzimmer im Hauptflügel oder im Nebenflügel. Und dann wäre da noch unsere Suite. Die wird gerne von frisch verheirateten Paaren genommen.«
Keine Frage, ich wählte die Suite. Sie notierte die Namen, Herr Alexander Gerlach und Gattin.
Meinen Zwillingen würde ich irgendetwas erzählen von dienstlichen Verpflichtungen. Mir würde schon etwas einfallen. Seit ich Theresa kannte, hatte ich lügen gelernt.
Sönnchen trat ein. »Hier ist die Akte, Herr Kriminalrat.«
»Nehmen Sie sie wieder mit. Ich hasse Akten.«
»Von diesem Autounfall letztes Jahr. Sie wollten sie doch haben.«
Richtig, Vanessa Kriegel und ihr Hallodri von Ehemann. Ich hatte die Geschichte schon fast wieder vergessen. Sönnchen legte vier lose Blätter vor mich hin, die erst vor wenigen Minuten per Fax gekommen waren. Das Unfallprotokoll der Mosbacher Kollegen, die den Fall damals bearbeitet hatten. Man sah den im üblichen holprigen Beamtendeutsch getippten Seiten die Lustlosigkeit des Verfassers an. Wie so viele Polizisten, die sich lieber im Außendienst als am Schreibtisch aufhielten, war er der Ansicht gewesen, eine sinnlose Bürokratenarbeit zu tun, die erledigt werden musste, weil die Vorschriften es verlangten. Fotos von Reifenspuren auf feuchtem Asphalt stützten die These, Kriegel sei wegen überhöhter Geschwindigkeit bei starkem Regen in einer lang gezogenen Rechtskurve ins Schleudern gekommen, in ein Wäldchen gerast und nach rund dreißig Metern mit kaum verminderter Geschwindigkeit gegen eine kräftige Buche gekracht. Vermutlich war er sofort tot gewesen.
Ein Handelsvertreter aus Neckarelz hatte das Wrack am nächsten Morgen entdeckt. Bereits am übernächsten Tag hatten die Mosbacher Kollegen den Fall zu den Akten gelegt. In der Kurve kam es öfter zu Unfällen, las ich, aufgrund überhöhter Geschwindigkeit, obwohl dort Tempo siebzig galt. Kriegels Blutalkoholwert hatte unter null Komma zwei Promille gelegen, was bedeutete, dass er so nüchtern war, wie ein Mensch es nur sein kann. Da man keinen Anlass gesehen hatte, etwas anderes als Unfall aus eigenem Verschulden anzunehmen, war die Leiche zur Bestattung freigegeben worden. Die Reste des Opel wanderten in die Schrottpresse.
Nun
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