Heidelberger Lügen
östlich der Ziegelhäuser Brücke hatten sie Reifen- und Schleifspuren gefunden sowie den am Jackett des Toten fehlenden Knopf.
»Und Fußabdrücke«, erklärte Balke aufgeräumt. »Aber wegen des Regens sind die leider nicht viel wert. So viel ist aber klar: Wir haben es mit einem männlichen Einzeltäter mit ziemlich großen Füßen zu tun. Seine Schuhgröße ist mindestens fünfundvierzig. Die Reifenspur könnte übrigens von McFerrins Mercedes stammen.«
Damit war der letzte Zweifel ausgeräumt. McFerrin war also wirklich ermordet worden. Froh über die Ablenkung lehnte ich mich zurück. »Hat die Auswertung des Videos schon etwas ergeben?«
»Die Tiefenschärfe der Kamera reicht einfach nicht bis dahin, wo dieser zweite Wagen stand. Nicht mal den Typ finden sie heraus. Nur dass die Farbe sehr hell ist. Weiß, gelb, creme, so was.«
»Oder silberfarben.« Ich faltete die Hände auf dem Tisch. »Damit kennen wir jetzt also die Stelle, wo der Täter sein Opfer in den Neckar geworfen hat. Hat er ihn dort auch ermordet? Und wie?«
Balke zog die Nase hoch. »Nach den Schleifspuren zu schließen, hat der Täter die Leiche im Kofferraum des Mercedes dorthin geschafft. Umgebracht hat er ihn woanders.«
»In seiner Wohnung ist er nicht ermordet worden. Die Spurensicherung hat nichts gefunden.«
Balke setzte sich endlich und streckte die Beine von sich. »Was ich absolut nicht begreife: Warum nimmt der Täter den Mercedes mit? Um Spuren zu verwischen? Normalerweise kippt man dann Benzin rein und zündet die Kiste an. Es muss ihm doch klar sein, dass er nicht weit kommt damit.«
»Vielleicht ging es genau darum?« Ich sah zur Decke, die dringend gestrichen werden musste. Mein Vorgänger schien Raucher gewesen zu sein. »Vielleicht hat er einen Wagen gebraucht? Andererseits – wegen eines alten Mercedes bringt man wohl kaum jemanden um.«
»Manche schon«, widersprach Balke ernst. »Einer, dem ich das problemlos zutraue, heißt Vitus Hörrle.« Er warf eine der üblichen Fotoserien vom Erkennungsdienst auf meinen Schreibtisch. Der Mann darauf hatte einen kantigen Kopf, militärisch kurz geschnittene dunkle Haare und eine bemerkenswert mürrische Miene im Gesicht.
»Hörrle? Den Namen habe ich schon mal gehört.«
»Kein Wunder. Er ist einer von den beiden, die in Weinsberg aus der Klapse getürmt sind.«
»Hat der nicht diesen Rover gestohlen? Dann hat er doch ein Fahrzeug.«
»Vielleicht meinte er, es sei an der Zeit, den Wagen zu wechseln.« Balke beugte sich vor. »Hörrle ist ein echter Brutalo. Einsdreiundneunzig groß, achtundneunzig Kilo schwer. Der hat im Vollrausch seine Frau umgebracht.«
»Ich denke, er saß in U-Haft?«
Seufzend zog Balke die Brauen hoch. »Okay. Er steht im Verdacht, seine Frau umgebracht zu haben.«
Ich nahm die Brille ab und massierte mir die Nase. »Wie sind die beiden eigentlich entkommen?«
»Der übliche Wahnsinn.« Balkes Brauen sanken wieder herab. »Sie waren zur Untersuchung ihrer Schuldfähigkeit in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. In der fünften Nacht hat Hörrle das Schloss am Fenster geknackt, das Gitter rausgehebelt und sie sind davonspaziert. Die Flucht ist erst am folgenden Morgen entdeckt worden, als es Frühstück gab.«
Nachdem Balke gegangen war, versuchte ich ein weiteres Mal vergeblich, Theresa zu erreichen. Ich warf einen Blick in meinen leeren E-Mail-Eingang und machte mich seufzend wieder an meine Statistik. Inzwischen war es fünf Uhr geworden, draußen wurde es schon wieder dunkel.
Eine Viertelstunde später meldete sich mein Handy. Beim Blick aufs Display machte mein Puls einen außerplanmäßigen Hüpfer. Theresa.
»Hallo, Sweetheart«, lautete die launige Begrüßung. »Warum hört man nichts von dir?«
»Gegenfrage: Warum meldest du dich nicht? Habe ich irgendwas verbrochen?«
»Ich habe mich nicht gemeldet, weil ich zwei Tage unterwegs war.«
»Und sagst mir nichts davon? Du hast ein Handy, du hättest wenigstens anrufen können!«
»Sweetheart, du scheinst mich mit jemandem zu verwechseln«, gurrte sie. »Wir sind nicht verheiratet. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Ansonsten hast du aber Recht.«
»Womit?«
»Ich wollte dich ein wenig quälen.«
»Das ist dir prima gelungen. Darf ich wissen, weshalb?«
»Wenn wir zusammen sind, verehrter Herr Kriminalrat, dann erwarte ich, dass du auch mit dem Kopf bei mir bist und nicht nur mit deinen weniger wertvollen Körperteilen. Am Montagabend warst du im Büro oder auf
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