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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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keinen schöneren vorstellen. Menschen sind das Interessanteste, was ich mir denken kann. Sie erleben unvorstellbare Dinge an der Rezeption eines großen Hotels.«
    Mit den Bewegungen eines Menschen, der heute nichts mehr vorhat, machte er sich daran, die Pfeife auszukratzen.
    »Soll ich noch eine Flasche öffnen?«, fragte er, als er damit fertig war.
    Ich hatte gar nicht bemerkt, wie die Erste leer geworden war. Bevor ich mich zu einer Antwort durchringen konnte, war er davongehumpelt und im Keller verschwunden.
    »Sie wirken, als könnten Sie ein wenig Entspannung vertragen«, meinte er schmunzelnd, als er mit der offenen Flasche zurückkam. »Erwartet Sie niemand?«
    Ich weiß nicht, warum, aber ich erzählte ihm alles. Von Veras Tod, meinen Zwillingen, die sich auch heute wieder selbst hatten ihr Abendessen richten müssen und nun gewiss verbotene Dinge taten, von meiner auch für mich selbst überraschenden Beförderung zum Chef der hiesigen Kriminalpolizei. Mein Gastgeber erfuhr, dass ich erst seit wenigen Monaten im Stande war, meine Töchter auseinander zu halten, da sie bis heute keinerlei Wert darauf legten, sich unterscheidbar zu machen. Nur von Theresa schwieg ich. Ich versuchte, nicht an sie zu denken, und an diesem Abend gelang es mir fast.
    Während wir die zweite Flasche leerten, redeten wir über Gott und Heidelberg, über das Leben im Allgemeinen, den Wein und die Liebe im Besonderen. Als eine Uhr im Haus elf schlug, wurde mir bewusst, dass ich mit dem Wagen hier war und heute besser nicht mehr Auto fahren sollte.
    So ging ich zu Fuß nach Hause. Es regnete längst nicht mehr, auch der Wind hatte sich inzwischen gelegt. Vor der Heilig-Geist-Kirche meditierten zwei triste Gestalten inmitten einer Sammlung Bierdosen. Aus den vollen Lokalen der Altstadt drangen Lärm und gute Laune, die Bewegung in der feuchten, kalten Luft erfrischte mich. Ich bummelte die schier endlose Hauptstraße entlang, blieb hier und da sogar vor einem Schaufenster stehen. Auf einer Treppe gegenüber dem Kurpfalz-Museum saß eine junge Frau in dickem Mantel und spielte leise Gitarre. Nicht, um Geld zu sammeln, sondern nur für sich, aus Freude an der Musik, aus Freude am Leben. Einige Meter weiter, in einem Hauseingang, hockte ein älterer, langhaariger Mann in dunklem Anzug und futterte mit sichtlichem Genuss Pommes weiß-rot aus einer fettigen Tüte. Mit dem schönen Gefühl im Bauch, überraschend einen wirklich sympathischen Menschen kennen gelernt zu haben, erreichte ich die Weststadt.
    Lorenzo hatte mir versprochen, sich zu melden, falls er noch darauf kommen sollte, was ihm an Kriegels Begleiterin aufgefallen war. Ich hoffte, er würde sich erinnern, denn wenn wir diese Frau nicht identifizierten, würde ich kaum jemals erfahren, wie Sören Kriegel zu Tode kam. Noch ging mich das ja offiziell gar nichts an. Noch handelte es sich nicht einmal um einen Fall. Aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass sich dies demnächst ändern würde. Zu vieles war merkwürdig an dieser Geschichte.
    Mein Verdacht, die Zwillinge hätten meine abendliche Abwesenheit genutzt, um wieder einmal über die Stränge zu schlagen, erwies sich als unbegründet. Die beiden lagen schon in ihren Betten und wachten nicht einmal auf, als ich leise die Tür öffnete. Vielleicht drohte am nächsten Tag eine Klassenarbeit, oder sie waren überraschend vernünftig geworden.

9
    Beim Frühstück erwartete mich eine Sensation. Meine Töchter stürmten in die Küche wie jeden Tag, murmelten ihr eiliges »Morgen, Paps«, drückten mir zwei achtlose Küsse auf die Wangen und fielen auf ihre Stühle. Während sie mit der rechten Hand ihre auf dem Tisch liegenden Handys bedienten, beschmierten sie mit der linken ihre Toasts mit Nutella. Sehr großzügig und ohne hinzusehen.
    Sarah war in schwarzen Jeans und ebensolchem Pullover, Louise trug ein so offenherziges buntes Sommerkleidchen, dass ich sofort überlegte, ob ich sie in diesem Aufzug in die Schule lassen durfte. Aber ich hatte keine Lust auf Gezänk und Diskussionen und schließlich hatten die Zeiten sich geändert. Auf den Straßen hatte ich Teenies in wilderem Aufzug gesehen, und die Schule würde sich melden, wenn man die Kleidung meiner Mädchen unziemlich fand.
    Erst, als sie darangingen, nebenher ihre SMS zu lesen und zu beantworten, wurde mir bewusst: Sie waren verschieden angezogen. Heute war das erste Mal in ihrem Leben, dass meine Töchter nicht vollkommen gleich aussahen. Sie kauten schweigend,

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