Heidelberger Lügen
das Telefon dieser Tante ab. Und das Haus wird observiert. Das wäre doch ein Job für Sie. Vom Fall McFerrin sind Sie hiermit entbunden.«
»Bloß nicht!« Balke freute sich kein bisschen über das Vertrauen, das ich in ihn setzte. »Das letzte Wochenende ist schon komplett draufgegangen! Ich brauch auch mal wieder ein bisschen Privatleben! Drei Nächte hab ich jetzt schon nicht mehr richtig geschlafen!«
»Zu viel Arbeit?«, fragte ich.
Er schwieg. Aber ich kannte die Antwort auch so: zu viel Sex.
Vermutlich hatte er wieder einmal eine neue Freundin.
»Es wird nicht lange dauern. Und ich gebe Ihnen Runkel als Verstärkung.«
»Rübe?«, brummte er augenrollend. »Ausgerechnet.«
»Vom LKA bekommen Sie alles an Technik, was Sie brauchen.«
»Na super!« Er legte das Gesicht in die Hände und seufzte theatralisch. Dann sah er mich an. »Ehrlich, das können Sie nicht machen. Ich brauch mal wieder einen ruhigen, dienstfreien Abend. Nehmen Sie irgendeinen, aber bitte nicht mich. Ein andermal gerne, aber nicht ausgerechnet jetzt!«
»Sie packen das schon«, meinte ich aufmunternd. »Ich vertraue Ihnen.«
»Ich glaube, als ich diesen Satz das letzte Mal hörte, hab ich hinterher eine Woche im Krankenhaus gelegen.« Er trollte sich.
»Das war aber vor meiner Zeit!«, rief ich ihm nach, aber ich weiß nicht, ob er es noch hörte. Er schien ernstlich wütend zu sein.
Am Nachmittag musste ich schon wieder zu einer Besprechung. Diesmal mit dem Leiter der Schutzpolizei wegen Maßnahmen zur Bekämpfung der überhand nehmenden Bettelei in der Innenstadt. Eine Bande aus dem Osten hatte Heidelberg als lohnendes Arbeitsfeld entdeckt. Viel dagegen tun konnten wir nicht. Betteln ist nicht verboten, und die Leute waren nicht aggressiv, sondern knieten mit gesenktem Haupt und irgendeiner Lüge auf einem Pappschild in der Fußgängerzone. Nach einer halben Stunde kamen wir überein, verstärkt Ausweiskontrollen durchzuführen und so wenigstens für ein wenig Unruhe zu sorgen.
Als ich wieder an meinem Schreibtisch saß, war eine Mail von Theresa da. Sechs Worte: »Müssen reden. Um sechs bei Inge.« Ohne Namen, ohne Gruß. Miststück!
Es gelang mir, mich nicht zu freuen. Natürlich würde sie vergeblich auf mich warten. Sollte ich eine noch knappere Absage schreiben? Ich beschloss, gar nicht zu antworten, sie schmoren zu lassen. Auf Knien sollte sie betteln. Und ich würde trotzdem nicht nachgeben. Zumindest nicht gleich.
Draußen schüttete es auf einmal wieder, als sollten wir alle zur Strafe für unser Lotterleben ertränkt werden.
Kurz vor fünf rief Liebekind an, vorgeblich, um zu hören, wie es mir ging, in Wirklichkeit natürlich, um sich zu vergewissern, dass ich alles im Griff hatte. Es fiel mir nicht schwer, ihn zu beruhigen. Hörrle erwähnte ich nicht. Der war bisher nicht mehr als eine Vermutung. Liebekinds Vortrag war bestens angekommen, erfuhr ich. Und das mit der Vorlesung würde er wohl machen. Das Wetter in Norddeutschland war noch schlechter als bei uns. Wir verabschiedeten uns fast freundschaftlich.
Erst später fiel mir auf, dass ich kein schlechtes Gewissen gehabt hatte bei diesem Gespräch. Ein gutes Gefühl. Ich fasste einen Entschluss. Ich würde Theresa heute Abend doch treffen, wir würden uns wie erwachsene Menschen benehmen, aussprechen und hoffentlich ohne Zorn verabschieden. Ich würde sie in guter Erinnerung behalten, wir hatten eine schöne Zeit zusammen verbracht, aber was vorbei war, war vorbei. Überraschenderweise tat der Gedanke nicht einmal weh.
Sönnchen kam herein. »Diese Firma, diese Analytech«, rief sie aufgeregt, »ich hab überall rumtelefoniert, aber die gibt’s überhaupt nicht!«
11
»Was sollte das nun eigentlich, am Sonntag?« Theresa funkelte mich kalt an, die personifizierte Herablassung.
»Dasselbe wollte ich dich fragen.« Ich hatte kein Problem damit, zurückzufunkein. Um sie zu ärgern, war ich zehn Minuten zu spät gekommen. Leider war sie noch wesentlich später gekommen. Nun standen wir uns in der kleinen Wohnung ihrer Freundin gegenüber, wo wir uns zu treffen pflegten. »Du hast dich unmöglich aufgeführt!«
»Ich?«, zischte sie. »Du warst es doch, der auf einmal nur noch herumgemotzt hat!«
»Wer hatte denn die falschen Schuhe an? Du oder ich?«
»Woher sollte ich ahnen, dass du eine Wanderung planst? Von einem luxuriösen Hotel war die Rede, nicht von einem Überlebenstraining. Und da nehme ich eben in der Regel kein schweres Schuhwerk mit,
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