Heidelberger Lügen
Egonchens Idee?«, flüsterte sie, während ihr Zeigefinger langsam von meinem Kinn über Brust und Bauch strich, hier ein paar Haare verzwirbelte, dort welche glatt strich. »Ich werde endlich deine Töchter kennen lernen. Ich wollte sie so lange schon einmal sehen. Sie müssen die süßesten Mädchen der Welt sein, wenn man dir zuhört.«
»Was erwartest du anderes bei einem so wunderbaren Vater wie mir?«
Mit einer ruhigen Bewegung schüttete sie mir den Inhalt ihres Glases ins Gesicht. Aber es war zum Glück nicht mehr viel.
»Ich weiß nicht«, fuhr ich fort, nachdem ich mir das Gesicht abgewischt und meine Hände an ihrem Körper getrocknet hatte. »Gerade wegen der Mädchen möchte ich das nicht. Mit deinem Mann komme ich noch irgendwie klar. Den belüge ich sowieso jeden Tag. Aber den Mädchen will ich nicht wehtun.«
»Warum sollte es ihnen wehtun, wenn ihr Vater glücklich ist?«
Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf das, was ihre linke Hand anstellte und mir so kolossal gut tat.
»Wie ist das eigentlich mit Egonchen? Liebst du ihn?«
»Natürlich.«
»Liebst du ihn – aua! – mehr als mich?«
Ihre Hand erstarrte. »Sei nicht albern, bitte.«
Verwundert über ihren Ton setzte ich mich auf. Sie wich meinem Blick aus und rollte sich auf die andere Seite, um ihre Zigaretten zu suchen.
»Erstens: Ich möchte nicht, dass du ihn so nennst.« Die Zigaretten waren gefunden. Ein Feuerzeug flammte auf. »Und zweitens: ja, ihn liebe ich. Nach dir bin ich süchtig. Das ist ein Unterschied.«
»Okay, Süße, das war’s.« Ich legte die Hände um ihren Hals und drückte zu. »Morgen werden wir zwei der Aufmacher der Rhein-Neckar-Zeitung sein!«
Sie wusste sich zu wehren, und aus unserem Ringkampf entwickelte sich das, was zu erwarten war.
»Gibt’s in Heidelberg eigentlich ein Hallenbad, das abends bis elf geöffnet hat?«, fragte ich, als ihre zweite Zigarette brannte.
»Wie kommst du darauf? Nein, ich denke nicht.«
»Meine Töchter haben plötzlich ihre Leidenschaft fürs Schwimmen entdeckt. Fast jeden Abend gehen sie ins Schwimmbad.«
Theresa lachte so, dass sie die Zigarette verlor und um ein Haar das Bett in Brand gesteckt hätte.
»Das Schwimmbad, du süßester aller Ahnungslosen«, prustete sie, als sie endlich wieder zu Atem kam, »das Schwimmbad ist eine weithin bekannte Heidelberger Diskothek. Hin und wieder finden dort auch Konzerte statt. Der Schuppen heißt so, weil er sich in einem ehemaligen Hallenbad befindet. Aber schwimmen kann man dort seit vielen Jahren nicht mehr.«
Ich verspürte große Lust, nach Hause zu fahren und meinen missratenen Gören eine Standpauke zu halten, das Taschengeld für acht Wochen zu streichen und außerdem bis zu den Sommerferien Hausarrest zu verordnen. Aber sie würden vermutlich gar nicht da sein. So schluckte ich meinen Zorn herunter und ließ mich von Theresa trösten.
Als wir uns endlich trennten, war es bereits nach neun. Ich machte mich auf den Weg nach Wieblingen, um mich davon zu überzeugen, dass Balke nicht inzwischen desertiert war. Er war mir heute Nachmittag eine Spur zu widerspenstig gewesen.
Zum Glück hatte der Regen sich verzogen. Die Bewölkung war aufgerissen, und es war kalt geworden. Der ungewöhnlich helle Mond stand hoch am Himmel. Gut für uns, schlecht für jemanden, der ungesehen ein Haus erreichen will.
Der Kastenwagen des LKA, voll gestopft mit Technik, parkte neben der katholischen Kirche, nur knapp dreihundert Meter von Anne Hörrles Anwesen entfernt. Äußerlich war er getarnt als Gerätewagen einer Ludwigsburger Spezialfirma für Kanalinspektionen. Im Inneren der fensterlosen Kiste herrschte diese Mischung aus drückender Langeweile und fiebriger Anspannung, die einen schon nach kurzer Zeit zwanghaft gähnen lässt. Es roch nach abgestandenem Kaffee, Hightech und zu vielen Menschen auf zu engem Raum. Außer Balke waren Rolf Runkel und ein junger Techniker vom LKA anwesend.
Irgendwer hatte sogar einen Rauhaardackel organisiert, der bei Erkundungsgängen als Tarnung dienen konnte und in der kommenden Nacht vermutlich oft Gassi gehen würde. Glücklicherweise war das Tier gut erzogen und bellte nicht wegen jeder Kleinigkeit. Ich ließ mir von Balke Bericht erstatten, während der Hund aufgeregt an meinen Schuhen schnupperte. Er schien mich zu mögen.
»Irgendwo muss er über den Neckar«, erklärte mir Balke anhand einer Karte mit großem Maßstab. »Er hat genau zwei Möglichkeiten. Durch die Stadt kann er
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