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Heidelberger Lügen

Heidelberger Lügen

Titel: Heidelberger Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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nicht, da sind auch spät in der Nacht zu viele Leute unterwegs. Hier im Nordwesten haben wir die Autobahnbrücke, da kann er problemlos rüber. Und dann ist da im Süden der Wehrsteg. Schwimmen wird er nicht wollen bei dieser Kälte.«
    Ich betrachtete die Karte genauer. Das Haus von Hörrles Tante war mit Kugelschreiber markiert, auch die Standorte unserer Fahrzeuge waren eingezeichnet.
    »Ist es nicht vollkommen gleichgültig, wie er das Haus erreicht? Wir warten einfach, bis er drin ist. Er muss todmüde sein und wird vermutlich nicht einmal aufwachen, wenn wir eine Wand raussprengen.«
    Balke sah mir neugierig ins Gesicht. »Also, ich finde, die Brille steht Ihnen. Macht Sie irgendwie seriöser. Sie müssen wirklich Schlag bei Frauen haben damit.«
    »Ich kann prima darauf verzichten.« Wütend nahm ich das Ding ab und steckte es weg. Eine Bö ließ den Wagen träge schwanken. Der Dackel rannte aufgekratzt von einem zum anderen. Ich sah wieder auf die Karte. Leider konnte ich ohne Brille nicht viel erkennen und musste die verhasste Prothese gleich wieder aufsetzen.
    Östlich des Neckars lagen Wiesen und Felder. Hörrle würde aus Nordosten kommen, aus irgendeinem Tal des Odenwalds, vermutlich zwischen Schriesheim und Handschuhsheim die B 3 überqueren, noch ein knapper Kilometer offenes Gelände, und dann musste er nur noch über den Neckar.
    »Die Telefonüberwachung steht?«
    »Sie hat aber bisher nicht telefoniert«, brummte Balke.
    Der Techniker war inzwischen eingeschlafen. Runkel beobachtete uns aus schmalen Augen und schwieg die ganze Zeit. Er war ungefähr in meinem Alter, ein stiller Kollege, der erst vor wenigen Jahren eine Philippinin geheiratet hatte, nach Balkes Überzeugung die definitiv hässlichste Frau der Welt. Nun war Runkel zusammen mit seiner Angetrauten dabei, eine Großfamilie zu gründen. Pünktlich alle achtzehn Monate gab es Nachwuchs. Erst vor wenigen Wochen war wieder ein Sohn zur Welt gekommen, Nummer fünf, wenn ich richtig gezählt hatte. Vielleicht sah Runkel deshalb so müde aus. Kleine Kinder kosten eine Menge Kraft und Schlaf.
    »Okay.« Ich erhob mich und klopfte Balke auf die Schulter. »Ich drehe mal eine Runde und sehe mich ein bisschen um.«
    »Nehmen Sie Pumuckl mit.« Runkel drückte mir das Ende der Hundeleine in die Hand. »Dann schläft er nachher besser.«
    »Das ist Ihr Hund?«
    Runkel nickte traurig. Der Dackel fiepte aufgeregt und zerrte schwanzwedelnd zur Tür.
    Die Schaufenster der kleinen Buchhandlung am Ende des Platzes waren noch erleuchtet. Die Straße war menschenleer. Ich wandte mich in Richtung Süden. Nach wenigen Metern bog ich links ab und ließ mich von Pumuckl in Richtung Neckar ziehen. Ein kräftiger kalter Wind blies die Atemwölkchen von meinem Mund. Ich fröstelte. Irgendwo klapperte ein loses Blechschild. Bald hatten wir den Neckar erreicht. Das Ufersträßchen war schmal, tückisch uneben und miserabel beleuchtet. Pumuckl flitzte herum, so weit die Leine es zuließ, und fand alles ungeheuer interessant. In der Ferne, jenseits des Neckars, schimmerten die Lichter der großen Kliniken im Neuenheimer Feld.
    Wieblingen, ein vor Jahrzehnten eingemeindeter Ort, der noch immer ein Dorf war, wirkte unbewohnt. In vielen Häusern war bereits jetzt, kurz nach zehn, das Licht aus. Hier ging man offenbar zeitig zu Bett. Nur wenige Meter neben mir rauschte und schäumte der Neckar in der Dunkelheit. Manchmal blitzte ein Lichtreflex auf, wenn sich das Mondlicht spiegelte. Mir wurde rasch kälter.
    Unter einem kahlen Baum musste ich wieder stehen bleiben. Pumuckl schnüffelte nach neuen, sensationellen Gerüchen. Das gegenüberliegende Ufer konnte ich im Mondlicht nur schemenhaft erkennen. Dort drüben musste Hörrle stecken. Irgendwo in dieser mit schwarz drohenden Bäumen und Büschen bewachsenen Ebene. In einer zugigen Gartenhütte vielleicht, einer sumpfigen Mulde, unter einem nur schlecht gegen Regen und Wind Schutz bietenden Gebüsch. Und irgendwann in dieser Nacht würde er vielleicht hier auftauchen. Da er schlau war, zwischen zwei und vier Uhr, wenn alle Welt im Tiefschlaf liegt und selbst der aufmerksamste Beobachter schläfrig wird. Andererseits musste Hörrle nach seiner mehrtägigen Flucht zu Fuß so erschöpft sein, dass er zu einem klaren Gedanken längst nicht mehr fähig war. Vor Müdigkeit würde er nur noch einfache Ziele vor Augen sehen: ein warmes Haus, ein heißes Bad, ein weiches Bett und Schlaf, einen Ozean voller Schlaf.
    Ein

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