Heidelberger Lügen
genießbar. Ich drehte die Musik lauter. Das Tango-Ballett von Astor Piazzolla, ein Geschenk von Theresa. Eine Musik, die einen die Sommerhitze von Buenos Aires spüren lässt und den bösen, fieberheißen und staubtrockenen Wind aus den argentinischen Pampas. Ich schloss die Augen und versuchte, meine eben erst verloren gegangene ruhige Stimmung wiederzufinden.
Am Freitagmorgen, kurz nach neun, klingelte mein Telefon. Ich war eben von einer ersten kurzen Besprechung mit Liebekind zurück, der heute wieder zum Dienst erschienen war.
»Ein Herr Fehrenbach«, sagte Sönnchen und stellte durch.
Er sei eben in Frankfurt gelandet, erklärte mir der Mann von Kriegells verschwundener Geschäftspartnerin gut gelaunt. Dass und weshalb ich ihn sprechen wollte, hatte er telefonisch von seiner Sekretärin erfahren.
»Ich steige im Moment in den ICE Richtung München. In Mannheim könnte ich aussteigen und eine Stunde später weiterfahren. Wir treffen uns irgendwo in der Nähe des Bahnhofs, okay?«
Ich machte mich gleich auf den Weg. Heute wollte ich ohnehin in Richtung Mannheim, um Vanessa Kriegel den Aktenkoffer ihres Mannes zu übergeben. Ich brannte vor Neugierde darauf, was wir darin finden würden. Und natürlich hatte ich auch schon vorsichtig versucht, ihn zu öffnen. Aber die Zahlenschlösser waren leider von guter Qualität.
»Ja, ja, die Diana.« Seufzend nahm Rainer Fehrenbach einen großen Schluck von dem Pils, das er sich bestellt hatte. »Das Dreckstück.« Das Wort klang aus seinem Mund anerkennend und ein bisschen wehmütig. Er stellte das Glas ab und sah mich ernst an. »Ein gescheites Bier, das ist immer das Erste, was ich haben muss, wenn ich aus dem Ausland komme.«
Er sprach mit leichtem schwäbischem Akzent und schien einer der Menschen zu sein, deren gute Laune nicht leicht zu erschüttern ist. Zu Beginn des Gesprächs hatte er mir erzählt, dass er vor sechsunddreißig Stunden zum letzten Mal ein Bett gesehen habe, in Nanking. Nun saßen wir in einem kleinen, gemütlichen Bistro im Mannheimer Hauptbahnhof an einem kleinen runden Tisch in kleinen, niedlichen Sesseln.
»Was ist denn eigentlich los?«, fragte Fehrenbach. »Hat Diana was ausgefressen, oder weshalb wollten Sie mich sonst so dringend sprechen?«
Nach unserem Telefonat hatte ich ihn mir jünger vorgestellt und sportlicher. Er war ein wenig älter als ich, hatte aber schon fast eine Vollglatze, wie ich mit leiser Genugtuung feststellte.
»Ihre Frau ist seit letzten Juli verschwunden.«
»Ist mir nicht entgangen.« Grinsend schüttelte er den Kopf. »Das war mal wieder typisch für sie. Diana, wie sie leibt und lebt.«
Mit einem Handzeichen bestellte er ein zweites Pils auf Vorrat. Ich nippte an meinem Evian.
»Sie haben Ihre Frau nie als vermisst gemeldet. Und, um ehrlich zu sein, Sie machen auch nicht den Eindruck auf mich, als ob Sie durch ihr Verschwinden übermäßig beunruhigt wären.«
»Aber ich vermisse sie doch überhaupt nicht«, lachte er. Dann wurde er ernst. »Sie glauben nicht, was für eine Menge Papierkram man am Hals hat mit so was. Versicherungen kündigen, Konten auflösen und so weiter und so fort. Ansonsten …« Er hob die Schultern. »Sie wollte fort, und nun ist sie fort. So what?«
»Sie werden verstehen, wenn ich das – sagen wir – ein wenig ungewöhnlich finde. Immerhin waren Sie fünf Jahre verheiratet.«
Ich musste warten, bis er getrunken und sich den Schaum aus dem silbergrauen Schnurrbart gewischt hatte. Er roch, als würde er Zigarren rauchen.
»Sie verstehen das nicht ganz richtig.« Er lehnte sich zurück. Der erste Durst schien gestillt zu sein. »Diana ist ja nicht einfach so verschwunden. Sie hat ihren Job gekündigt, sie hat mir eine ziemlich ausführliche Abschiedsmail geschickt. Vorher hat sie allerhand von ihrem Zeug eingepackt, und sogar ihr Auto, diesen idiotischen Lotus, hat sie mitgenommen. Aus meiner Sicht bestand also kein Grund zur Besorgnis. Sie wollte ein neues Leben beginnen. Ohne mich. Sie hätte mir das vielleicht auf eine schonendere Weise beibringen können, okay, aber so war sie nun mal. Immer auf Highspeed, schnell entschlossen und sofort gehandelt. Das war ihre Art. Und soll ich Ihnen was sagen?« Er beugte sich vor und sah mir in die Augen. »Genau das war’s, was mich fasziniert hat an dieser Frau. Auch wenn sie ein Dreckstück war. Selbstsüchtig, rücksichtslos, eine Egomanin. Irgendwie hab ich sie genau deswegen gemocht.«
»Was Sie sagen, klingt, als
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