Heidelberger Lügen
Menschen irgendwelche liegen gebliebenen Dinge nachsendeten? Die dann womöglich einem Ehepartner in die Hände geraten, der von einem Schlosshotel im schönen Neckartal noch nie gehört hat?« Er lachte mich an. »Diese Dinge werden aufbewahrt, und wenn der Gast sich nicht rührt, dann wird er seine Gründe haben. Deshalb stand dieses Köfferchen bis heute dort in dem kleinen Nebenraum hinter der Rezeption.«
»È pronto«, sagte Maria mit ihrer leisen und dennoch klingenden Stimme. »Prego.«
Als ersten Gang gab es einen Meeresfrüchtesalat in einer geheimnisvollen Soße mit einem Hauch von Cognac. Lorenzo hatte Recht. Meine Geschmacks- und Geruchsnerven jubelten im Chor. Mir fiel auf, dass die beiden kaum miteinander sprachen. Das Einzige, was man hörte, war das Ticken einer großen Standuhr und das dezente Klappern von schwerem Silberbesteck auf kostbarem altem Porzellan.
»Sie reden wohl nicht viel«, stellte ich fest.
»Wozu sollten wir?« Lorenzo legte seine Hand auf Marias, sah ihr in die Augen, und ich verstand, dass es anderer Wege der Verständigung gibt als Sprechen. Ein wenig beneidete ich die zwei um die Stille, die sie umgab. Zwischen diesen beiden Menschen würden nicht so leicht Worte fallen, die man später ungesagt machen möchte.
Als zweiten Gang tischte Maria hauchdünne Spaghetti mit selbst gemachtem rotem Pesto auf. Lorenzo öffnete dazu einen Primitivo aus Apulien, der es mit dem vorangegangenen Merlot problemlos aufnehmen konnte. Ich bemühte mich, einen Überblick über meinen Alkoholkonsum zu behalten. Ich wollte den Peugeot nicht schon wieder stehen lassen.
Lorenzo und ich plauderten über angenehme Banalitäten, Maria schwieg, meine Nase freute sich an selten gerochenen Düften, und in meinem Kopf gab es längst keine Kripo mehr, keine unbeaufsichtigt herumstreunenden Töchter, keine irren Gewalttäter, die ihre alten Tanten als Geisel nahmen.
Das Menü dauerte drei Stunden, es gab fünf Gänge, und dennoch hatte ich beim abschließenden Espresso das angenehme Gefühl, leicht und wenig gegessen zu haben. Gegen Ende bot Lorenzo mir das Du an, was ich sofort akzeptierte, obwohl ich nicht zu den Menschen zähle, die jeden duzen, den sie mehr als einmal getroffen haben und jeden auf die Wange küssen, dessen Namen sie sich haben merken können.
Um viertel nach zehn erhoben wir uns fast feierlich.
»Sie mag dich sehr«, sagte Lorenzo beim Abschied. »Ich hoffe, ich werde niemals Grund haben, eifersüchtig zu sein!« Ausnahmsweise lachte er nicht. Mir wurde klar, dass es kein Spaß war, diesen Mann zum Feind zu haben.
»Gleich morgen früh werde ich eine Streife losschicken und diesen geheimnisvollen Aktenkoffer holen lassen. Ich bin sehr gespannt, ob er uns weiterhilft. Werden deine Kollegen den Koffer problemlos herausgeben, oder brauche ich ein Papier vom Richter?«
»Ich habe mir erlaubt, das Verfahren ein wenig abzukürzen.«
Lorenzo griff in einen Garderobenschrank und drückte mir einen schmalen, sichtlich teuren Koffer aus hellbraunem Veloursleder in die Hand. Er war überraschend schwer. Ich schüttelte ihn vorsichtig. Es rumpelte nichts darin.
»Und erzähle mir bitte bei Gelegenheit, was drin war«, rief Lorenzo mir nach. »Deine Berufskrankheit ist ansteckend. Ich fange auf meine alten Tage noch an, neugierig zu werden.«
An diesem Abend war es Louise, die ich allein antraf. Mit den Füßen auf dem Tisch und einer Familientüte Paprikachips in der Hand lungerte sie vor dem Fernseher herum und war übelster Laune.
»Wo steckt Sarah?«
»Weiß nicht.«
»Was ist denn eigentlich los mit euch?«
»Nichts.«
Ich schaltete den Fernseher aus und setzte mich ihr gegenüber.
»Irgendwas stimmt doch hier nicht.«
Es dauerte fünf weitere Chips, bis ich eine Antwort erhielt.
»Jungs können so was von zickig sein!«, fauchte Louise ihre Tüte an.
Ich lachte. »Mädels aber auch!«
»Schon.« Sie blitzte mich an. »Aber bei denen ist das normal!«
»Jetzt erzähl endlich.« Ich beugte mich vor. »Was ist los mit euch beiden?«
»Ach.« Sie senkte den Blick und begann wieder, hastig zu futtern. Kurz darauf verschwand sie plötzlich ohne Gutenachtküsschen in ihrem Zimmer, und Augenblicke später wummerten dort wütende Bässe. Die Tüte ließ sie liegen.
Ich schloss die Wohnzimmertür, suchte mir eine passende CD und fand sogar noch eine halbe Flasche Bordeaux in der Küche. Der Wein schmeckte schon ein wenig muffig, aber zusammen mit Paprikachips war er
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