Heidelberger Lügen
hätten Sie schon länger mit so etwas gerechnet.«
Fehrenbach schwieg einige Sekunden. Aus der Bahnhofshalle hörte ich unverständliche Lautsprecherdurchsagen. Von der Bar her duftete die Espressomaschine. Ich bestellte mir einen Cappuccino.
»Unsere Beziehung war nie so, wie man sich landläufig eine Ehe vorstellt. Verstehen Sie mich nicht falsch, es lag nicht nur an ihr. Wir haben beide stressige Jobs, sind beide ehrgeizig, ein bisschen zu sehr vielleicht. Wir sind beide keine Trauerklöße, außerdem ständig unterwegs, immer Business im Kopf. Es gab Monate, da haben wir uns nur an zwei, drei Tagen gesehen. Ein Großteil unserer ehelichen Kommunikation lief per E-Mail und SMS.«
»Trotzdem eine merkwürdige Art, sich zu trennen. Und was mir natürlich vor allem zu denken gibt: Warum ist sie so vollständig von der Bildfläche verschwunden? Man kann sich scheiden lassen, ohne spurlos abzutauchen.«
»Vorläufig sind wir ja noch gar nicht geschieden.« Er sah an mir vorbei und dachte einen Augenblick nach. »Genau so war sie. Diana hat nie lange …«
»Warum sprechen Sie in der Vergangenheit von ihr?«, fiel ich ihm ins Wort.
»Für mich ist Diana Vergangenheit.«
»Und Sie haben keine Idee, wohin sie verschwunden sein könnte?«
»Aber natürlich hab ich die. Eine hübsche, sonnige Insel irgendwo in der Südsee mit einem kleinen Hafen für die Segelyacht, von der sie immer geträumt hat. Da wollte sie hin, sobald sie es sich finanziell leisten kann. Sie hat das Klima hier regelrecht gehasst. Rainer, hat sie oft gesagt, irgendwann mache ich den großen Deal, und dann kann es in diesem Mistland von mir aus jeden Tag regnen. Ich werd dann nicht mehr nass. Und ich vermute, genau das hat sie getan. Sie muss irgendwo über einen Sack Geld gestolpert sein und hat ihn gewiss nicht liegen lassen.«
»Woher könnte dieser plötzliche Reichtum kommen?«
»Ich nehme an, sie hat einen ihrer Klienten ein bisschen angezapft. Fragen Sie mich nicht, wie. Vielleicht hat sie mit ihm geschlafen und ihn anschließend erpresst. Oder sie hat ein bisschen von dem vielen Money auf ein Auslandskonto abgezweigt, das auf ihren Namen läuft. Wenn einer Milliarden besitzt, dann fällt es vermutlich nicht weiter auf, wenn auf einmal ein paar Milliönchen fehlen. Das sind doch für die Peanuts.«
»Sie meinen also, dass sie nicht auf legalem Weg zu Geld gekommen ist?«
»Legal?« Diesmal klang sein Lachen traurig. »Ehrliche Arbeit ist doch so ziemlich der einzige Weg, auf dem Sie es heute garantiert zu nichts bringen. Wenn ihr Deal legal gewesen wäre, dann wäre sie nicht so spurlos abgetaucht. Weiß der Teufel, wie sie es gedreht hat, aber es hat ja offenbar geklappt, und wissen Sie was? Ich gönn’s ihr. Wenn sich mir so eine Chance bieten würde, ich bin mir nicht sicher, ob ich es nicht genauso machen würde.«
»Eine letzte Frage: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann hat Ihre Frau es mit der ehelichen Treue nicht so genau genommen?«
Diana Golds verlassener Ehemann warf den Kopf zurück und lachte so laut, dass der junge Mann hinter der Bar erschrocken hersah.
»Treue?« Fehrenbach dämpfte seine Stimme mühsam. »Das Luder hat doch nicht mal gewusst, wie man dieses Wort schreibt!«
»Was ist das?«
Als ich versuchte, Vanessa Kriegel den Aktenkoffer zu übergeben, wich sie zurück, als wollte ich ihr eine Kröte in die Hand drücken. Sie wohnte an einer viel befahrenen Durchgangsstraße in Viernheim. Das Haus war schäbig, die Gegend war schäbig, selbst die Luft draußen hatte wie aus zweiter Hand gerochen. Ob nach den Abgasen der nicht weit entfernten Autobahn oder den Ausdünstungen einer nahen Müllkippe, hatte ich nicht herausgefunden. Das graue Häuschen stammte aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts und hatte nur zwei Stockwerke. Sören Kriegels Witwe bewohnte das Erdgeschoss. Beim Drücken des Klingelknopfs hatte ich festgestellt, dass selbst eine Türklingel ärmlich tönen kann.
»Dieser Koffer hat Ihrem Mann gehört.«
»Bestimmt nicht. Ich weiß, wie Sörens Aktenkoffer aussieht.«
Björn klapperte mit irgendeinem Plastikspielzeug auf dem Boden der überheizten Wohnküche herum. Zielstrebig schien er die Stelle zu suchen, wo er mit minimaler Anstrengung den maximalen Radau erzeugen konnte.
»Könnten wir vielleicht nebenan …?« Ich nickte in Richtung einer Tür. Stumm nahm sie ihren Sohn auf den Arm, trug ihn in ein angrenzendes Zimmer und setzte ihn dort in ein Laufställchen, was ihm
Weitere Kostenlose Bücher