Heidelberger Requiem
elf hatte ich mich endlich zu meinem Antrittsbesuch bei ihr aufgerafft. Sie war äußerst streng mit mir und hielt mir einen ausschweifenden Vortrag über die Gepflogenheiten und Umgangsformen der Strafverfolgungsbehörden meiner neuen Heimatstadt.
Zähneknirschend gelobte ich für die Zukunft engste Zusammenarbeit und flüssigsten Informationsaustausch, versprach, von nun an täglich und ohne Aufforderung einen ausführlichen und selbstredend schriftlichen Bericht über den Fortgang unserer Ermittlungen zu liefern. Nicht einmal beim staubtrockenen Händedruck zum Abschied schaffte sie es zu lächeln.
Zurück in meinem Büro, band ich mir den Schlips um, den ich für solche Fälle mitgebracht hatte, zog mein Jackett über, klemmte mir eine schmale Akte unter den Arm und lief zur Pressekonferenz im großen Besprechungszimmer, wo letzte Woche die Begrüßungsfeier stattgefunden hatte. Der große Raum war überraschend gut gefüllt. Ein Kamerateam des SWR war da, eines von RN-TV, eine Vertreterin der Rhein-Neckar-Zeitung, ein alter, sichtlich bissiger Kettenhund der dpa und viele, viele andere. Noch herrschte Saure-Gurken-Zeit, das Sommerloch gähnte, und die Journaille stürzte sich dankbar auf alles, was auch nur entfernt Ähnlichkeit mit einer Sensation hatte. Der spektakuläre Mord am einzigen Sohn eines berühmten Professors schien nicht das Schlechteste zu sein.
Liebekind war zum Glück schon anwesend. Und Frau Doktor Steinbeißer, die ich eben erst aufatmend verlassen hatte, leider ebenfalls. Sie musterte mich mit ausdruckslosem Blick, als würde sie mich zum ersten Mal sehen. Es schien sie Mühe zu kosten, mein Nicken zu erwidern.
»Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Stellung von Professor Grotheer und der Tat?«, wollte der dpa-Typ Kaugummi kauend wissen.
»Nein«, erwiderte Liebekind ernst. »Überhaupt nicht.«
»Es ist auch noch viel zu früh, um …«, versuchte ich mich einzumischen. Aber niemand hörte mir zu.
»Haben Sie bereits eine Theorie über das Motiv?«
»Wir haben eine Menge Theorien«, dozierte Liebekind entspannt. »Wir verfolgen natürlich zahllose mehr oder weniger konkrete Spuren. Aber aus ermittlungstaktischen Gründen können wir Ihnen zum derzeitigen Zeitpunkt leider keine weiteren Informationen geben.«
»Stimmt es, dass der Täter das Opfer regelrecht hat verbluten lassen?«
»Das ist richtig«, bestätigte die Leitende Oberstaatsanwältin widerwillig.
Die Presseleute wollten wissen, ob wir die Art der Tötung nicht höchst ungewöhnlich fanden, was Liebekind bejahte, und ob wir ein Sexualdelikt vermuteten, was die Staatsanwältin verneinte. Ich fragte mich, was ich hier eigentlich sollte.
»Wir erlauben uns derzeit noch keine Vermutungen. Dazu ist es noch viel zu früh«, erklärte Liebekind gemütlich.
»Bislang sammeln wir Informationen und erst, wenn …«, versuchte ich noch einmal mein Glück.
»Wer sind Sie denn eigentlich?«, fragte die junge Frau, die mich letzten Mittwoch für die Zeitung interviewt hatte. Ich gab auf.
»Der hier ist unser geschätzter Kriminalrat Gerlach, der neue Leiter der Kriminalpolizei«, sagte Liebekind mit einer angedeuteten Verbeugung in meine Richtung. Die Kameras schwenkten anstandshalber kurz auf mich.
»Wie sehen Sie die Chancen, den Fall in absehbarer Zeit aufzuklären?«, fragte mich ein Kerl mit hängenden Tränensäcken, der zum Team des SWR gehörte.
»Oh, sehr gut«, log ich mit fester Stimme. »Wir sind schon ziemlich weit.«
»Heißt das, dass die Öffentlichkeit mit der baldigen Aufklärung dieses abscheulichen Verbrechens rechnen darf?«, wollte ein Vertreter der Bild-Zeitung, Redaktion Mannheim, sofort wissen.
»Natürlich«, antwortete ich verwegen. »Das ist eine Frage von Tagen.«
Liebekind lächelte in sich hinein und spielte mit seinem Füller. Frau Doktor Steinbeißer musterte mich mit einer Miene, der zu entnehmen war, dass sie mich jetzt endgültig für schwachsinnig hielt.
7
Nach dem Essen eröffnete Sonja Walldorf mir betrübt, Liebekinds Sekretärin habe ihr kein bisschen weiterhelfen können. Siebzehn Bewerbungen hatten vorgelegen, davon drei aus dem Haus. Fünf waren in die engere Wahl gekommen und zum Gespräch gebeten worden. Und irgendwann hatte Liebekind ihr einen freundlichen Brief diktiert, an einen gewissen Alexander Gerlach, und vier noch viel freundlichere Absagen.
Am Nachmittag begann ich meine Leute zu beneiden, die ein Stockwerk tiefer unablässig
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