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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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telefonierten und diskutierten, Zeugen aufsuchen durften, etwas erlebten, während ich Personalakten las, offene Fälle studierte und, immer häufiger gähnend, Reisekostenabrechnungen signierte und Statistiken nachrechnete. Einmal mehr fragte ich mich, ob ich mich darüber freuen sollte, Chef zu sein und Verantwortung tragen zu müssen für Dinge, auf die ich kaum Einfluss hatte. Was, wenn ich mich hier in vier Wochen zu Tode langweilte? Was, wenn wir den Fall nicht so rasch lösten und die Presse mich in Stücke hackte? Plötzlich verstand ich den Blick der Staatsanwältin. In spätestens zwei, drei Tagen würde todsicher zum ersten Mal die Frage nach der Kompetenz der Ermittlungsbehörden und ihrer leitenden Beamten gestellt werden. Und was, wenn meine Zwillinge keine neuen Freunde fanden? In eine Klasse voller Junkies und Flittchen gerieten? In Heidelberg saßen die Amerikaner. Drogen gab es hier vermutlich an jeder zweiten Ecke im Sonderangebot.
    Zum Glück klingelte das Telefon. Klara Vangelis nannte mir eine Adresse in der Schützenstraße, wo Fitzgerald Gardeners Mutter wohnte. Über seinen derzeitigen Aufenthalt war bisher nichts bekannt. Die wenigen Junkies, die zugaben, ihn zu kennen, hatten keinen Schimmer, wo er steckte. Seit Tagen hatte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen.
     
    Helen Gardener bot mir nicht einmal einen Sitzplatz an. Sie hatte mir die Tür geöffnet und mich gleichgültig in ihr Haus gelassen, ohne nach dem Grund meines Besuchs zu fragen oder auch nur die Kippe aus dem absurd grell geschminkten Mund zu nehmen. Jetzt lag sie wieder in einem breiten Fernsehsessel und beachtete mich nicht mehr.
    Ich räumte einen Stapel bunter Heile-Welt-Zeitschriften von einem der zwei billigen roten Kunstledersessel und nahm Platz. Wie ich inzwischen wusste, war Helen Gardener vor dreizehn Jahren in dieses Haus gezogen, ein Jahr nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, ein amerikanischer Offizier, mit dem sie offiziell noch immer verheiratet war. Damals war Fitz zwölf Jahre alt gewesen. Seither schien sie ihre Zeit mit Rauchen und Fernsehen zu verbringen und ihren Sessel kaum noch zu verlassen.
    Sie trug ein unförmiges, bunt gemustertes Kleid, das sie noch dicker machte, als sie war. Die Beine wirkten merkwürdig dünn, die Haut fast weiß, die Füße waren unter dem Gewicht des Körpers schief geworden.
    Das Mobiliar erinnerte mich an den Aufenthaltsraum eines billigen Hotels in New Orleans, wo ich mit Vera einmal auf einem Jazz-Festival gewesen war. Das allumfassende Chaos ließ mich an das Zimmer meiner Töchter denken.
    »Ob man ein bisschen Luft hereinlassen könnte?«, begann ich das Gespräch.
    Sie nahm die Fernbedienung in die Hand und stellte den Ton lauter. »Wenn’s aber bloß nicht zu heiß wird! Hab nämlich keine Klimaanlage!«, stieß sie unwillig hervor.
    Ich schob eine gelbe Gardine zur Seite und öffnete ein lange nicht geputztes Fenster mit quietschenden Scharnieren. Draußen herrschten schon wieder achtundzwanzig Grad, Wolken türmten sich im Westen, es roch nach Gewitter. Ich lehnte mich neben dem Fenster an die Wand. So hatte ich Luft zum Atmen, behielt meine Zeugin im Blick und konnte mich nebenbei umsehen. Das Zimmer mochte vielleicht fünfzehn Quadratmeter messen und war damit vermutlich bereits einer der größten Räume des zweistöckigen Häuschens aus den fünfziger Jahren. Mein Blick fiel auf einen riesigen und dennoch überquellenden Aschenbecher, der auf einem mit Unrat und Plunder übersäten Couchtisch stand. In einer Ecke entdeckte ich eine Art Altar mit einer aus schillerndem Hintergrund rosa beleuchteten Plastikmadonna. Mindestens fünf Katzen beäugten mich schläfrig aus verschiedenen Winkeln. Soweit man bei dem Qualm überhaupt etwas riechen konnte, stank es nach Katzenkot, totem Fisch und Dingen, über die ich lieber nicht nachdenken wollte.
    »Frau Gardener«, ich räusperte mich, »ich würde gerne mit Ihnen über Fitz sprechen.«
    Sie warf mir einen schnellen, heimtückischen Seitenblick zu und starrte sofort wieder auf den Bildschirm, um nichts zu verpassen. Stumm bewegte sie den Mund zu den schwachsinnigen Dialogen einer Talk-Show niedersten Niveaus. Von einer zänkischen Moderatorin angefeuert, beschimpfte ein junges Paar eine Frau, die, wenn ich richtig verstand, früher mit dem Mann verheiratet gewesen war und vor Tränen längst kein Wort mehr herausbrachte.
    Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Zeugin etwas in der Hand hielt, was ich als Rosenkranz

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