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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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haben«, erklärte Vangelis mir später, während Gardener und seine Kumpanen fluchend in einen Kleinbus der Polizei stiegen. »Und das waren ganz schön taffe Jungs, damals. Nicht solche Weicheier wie die da.«
    »Hat sie auch ein Loch in die Wand geschossen?«
    »Bei uns hat man damals nie Munition verschwendet. Vier von den Türken sollen hinterher tot gewesen sein, der Rest im Lazarett.« Sie sah auf die Uhr, die sie inzwischen wieder am Handgelenk trug. »Gott, ich bin spät!«
    »Kann ich Sie irgendwo hinfahren?«
    »Das wäre nett. Ich muss Vater in der Taverne helfen. Mutter hat ihre Migräne, und ich sollte seit zehn in der Küche stehen.«
    Ein uniformierter Beamter schob Gardeners Yamaha aus dem Hof, die wir in einem Schuppen gefunden hatten.
    »Haben Sie auch hin und wieder so was wie Freizeit?«
    »Freizeit? Was ist das?« Sie schwang die Handtasche über die Schulter. »Können wir? Griechische Väter mögen es nicht, wenn ihre Töchter zu spät kommen.«
    »Oh«, versetzte ich grinsend. »Deutsche auch nicht.«

9
    Der Einkaufszettel klebte unberührt an der Kühlschranktür, und der Kühlschrank selbst war so gut wie leer. Zum Glück fand ich noch ein Paket tiefgekühlte Frühlingsröllchen mit leicht überzogenem Haltbarkeitsdatum und einen Rest vor Ewigkeiten eingefrorenes Kartoffelpüree. Mit Sojasoße schmeckte es gar nicht mal schlecht.
    Als die Zwillinge endlich auftauchten, war ich auf der Couch zur Musik von John Taylor, Kenny Wheeler und Norma Winstone eingeschlafen. Die alte Wanduhr aus Veras Erbschaft zeigte sieben Minuten nach zwölf. Draußen fuhr ein Auto davon, dessen Musikanlage noch durch die geschlossenen Fenster die meine übertönte.
    Ich verwarnte die Mädchen in strengstem Ton, verschreckte sie mit der Vorstellung, demnächst täglich Kartoffelpüree mit Frühlingsröllchen essen zu müssen, wenn sie nicht endlich mehr Disziplin an den Tag legten. Sie schworen brav, dass heute wirklich die absolute Ausnahme gewesen sei und so was niemals wieder vorkommen werde. Wir einigten uns darauf, dass sie ab sofort spätestens um zehn zu Hause sein würden.
    Als ich dann auf der Bluse der linken meiner Töchter auch noch einen Ketchupfleck entdeckte, kam heraus, dass sie nach dem Kino noch bei McDonald’s gewesen waren. Ich hielt ihnen einen Vortrag über die Schädlichkeit von Fastfood und Coca-Cola sowie den dramatischen Hang der amerikanischen Durchschnittsbevölkerung zu Übergewicht. Sie versprachen ernst, sich künftig gesund zu ernähren.
    »Habt ihr euer Zimmer aufgeräumt?«
    Plötzlich waren sie auffallend schweigsam. Auf meine inquisitorischen Fragen hin gestanden sie schließlich, dass sie alles, was ich im Keller aussortiert hatte, gründlich durchsucht und eine Menge wirklich wichtige Dinge vor der Vernichtung gerettet hatten.
    »Babyspielzeug, Paps! Du schmeißt unser Babyspielzeug weg! Und Strampelanzüge! Und den Drachen, den wir im Kindergarten gebastelt haben!«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass ihr in den letzten Jahren mit Babysachen gespielt oder Strampelanzüge getragen hättet.«
    »Und Amerika hast du kaputt gemacht! Wahrscheinlich willst du den auch noch wegwerfen, was?«
    »Natürlich nicht. Ich hab euren heiligen Schrank nicht kaputt gemacht, sondern zerlegt. Der kommt nämlich mit. Einen alten Schrank kann man immer brauchen im Keller. Aber selbst wenn – man muss sich von altem Krempel auch mal trennen können.«
    »Aber Paps! Das sind doch Erinnerungen! Und wir haben heute auch mit den Sachen gespielt! Wir hatten sie bloß vergessen!«
    Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Und was habt ihr sonst noch so gemacht den Tag über?«
    »Na ja.« Sie senkten die Blicke. »Unser Zimmer aufgeräumt.«
    Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass dies höchstens die halbe Wahrheit war. »Das will ich sehen.«
    Mit gesenkten Köpfen schlichen sie hinter mir her die Treppe hinauf. Es war, wie ich befürchtet hatte: Sie hatten nicht aufgeräumt, um Ordnung zu schaffen, sondern alles Herumliegende beiseite geschoben, um Platz für ihre wiedergefundenen Schätze zu haben. Der Fußboden lag voll von Rasseln, Beißringen, zerknautschten, mehr oder weniger invaliden Stoffpuppen, haarlosen, trübäugigen Teddybären. Mitten in dem Chaos thronte ein kleines rosa Nilpferd, dem ich vor ungefähr zehn Jahren einmal das Leben gerettet hatte, indem ich es im letzten Augenblick todesmutig aus dem Rhein fischte. Ich riss den Mund auf für ein Donnerwetter, holte tief Luft, schloss

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