Heidelberger Requiem
mit«, erwiderte ich müde. »Lassen Sie die missratenen Gören ein Protokoll unterschreiben. Machen Sie es ruhig ordentlich wichtig. Und anschließend packen Sie die zwei in einen Streifenwagen und fahren sie heim.« Ich gab ihm die Adresse. »Und noch was, legen Sie ihnen bitte Handschellen an.«
Auch in dem winzigen Bad gab es keine Anzeichen von einem Mann. Nur eine Zahnbürste, kein Aftershave, der einzige Rasierapparat in Rosa und Pink. Ich verabschiedete mich von der schönen, wohlig lächelnd und mir so sympathisch obszön ihre Reize präsentierenden Frau, deren Namen ich heute wohl nicht mehr erfahren würde.
»Es war schön mit Ihnen«, sagte ich.
»Wir sehen uns wieder?«, fragte sie mit leisem Lächeln.
»Und dann werde ich wissen, aus welchem Buch Ihr Zitat stammt.« Ich küsste sie ein letztes Mal auf ihren weichen, heißen Mund, fühlte ihre erfahrene Hand im Schritt, sog ihren Duft ein und ging.
Auf der Autobahn beschloss ich wieder einmal, bei der Erziehung meiner Töchter von nun an deutlich härter gespannte Saiten aufzuziehen. Als ich ankam, stand ein unbeleuchteter Streifenwagen vor unserer Tür. Hinter manchen Gardinen in der Nachbarschaft war Licht und Bewegung. Die Zwillinge taten sehr zerknirscht. Nachdem die grinsenden Schupos ihre Handschellen eingesteckt hatten und abgefahren waren, gingen wir hinein, und ich hielt meinen rührend betreten guckenden Töchtern eine ebenso lange wie lautstarke Ansprache, bei der sie oft und ernst nickten.
Dann schickte ich sie ins Bett und ging ins Wohnzimmer, um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren, ein Glas Wein zu trinken, noch eine Platte zu hören und meine Nerven zu beruhigen. Sie hatten es nötig.
Ganz selbstverständlich wählte ich Miles Davis, eine Platte, von der sie mir erzählt hatte, von der ich wusste, dass sie sie liebte. Meine Gedanken kreisten um das eine Thema: Wer war diese Frau, mit der ich vor nicht einmal einer Stunde geschlafen hatte? Wie kam es, dass sie mich kannte? Machte sie so etwas öfter, oder hatte sie aus einem unbekannten Grund ausgerechnet mich ausgewählt? Und falls ja, weshalb? Gut, sie hatte Kondome in ihrer Handtasche gehabt. Andererseits machte sie nicht den Eindruck, als würde sie jede Nacht mit einem anderen Mann ins Bett steigen. Die ganze Zeit war ich das Gefühl nicht losgeworden, sie hätte seit langer Zeit auf diesen Abend, auf mich gewartet. Und warum zum Teufel wohnte sie in einer Single-Wohnung, obwohl sie doch verheiratet war?
Ich gähnte. All dies würde ich herausfinden. Morgen. Wozu war man schließlich Polizist. Als die Platte zu Ende war, ging ich ins Bett. Ich schlief unruhig, träumte von Marianne Schmitz und der geheimnisvollen anderen. In meinem Traum waren sie ein und dieselbe Person, verschmolzen zur Frau an sich, und am Ende war es wie immer Vera, die ich in den Armen hielt. Als ich pünktlich um halb sieben erwachte, wenige Sekunden bevor der Radiowecker sich einschaltete, fühlte ich mich ausgeschlafen und heiter wie selten.
12
Ich trieb die Mädchen aus dem Bett und besprach das Tagespensum mit ihnen. Wie ich feststellte, hatten sie am Tag zuvor wirklich alles erledigt, was ich ihnen aufgetragen hatte. Aber ich lobte sie nicht dafür.
Bevor ich mich auf den Weg machte, trat ich noch rasch ans Bücherregal im Wohnzimmer. Nach der altertümlichen Sprache zu schließen, musste das Zitat aus einem älteren Text stammen. Ich hatte schon eine Ahnung und brauchte nur zwei Minuten. Es war aus »Das Bildnis des Dorian Gray« von Oscar Wilde. Ich warf das Buch auf den Couchtisch, um am Abend darin zu lesen, und verabschiedete mich kühl von meinen schläfrigen und immer noch bettwarmen Töchtern.
Im Büro bat ich meine Sekretärin, alles über eine gewisse Frau Bergengrün in der Blumenstraße 54 herauszufinden, was mit legalen Mitteln herauszufinden war. Sie teilte mir mit, das mit dem Strafmandat habe sich erledigt, und meine Parkerlaubnis sei beantragt. Dann machte ich mich an mein Frühstück und sah nebenbei die Post durch. Obenauf lag der Bericht der Beamten, die Gardeners Unterkünfte gefilzt hatten. Er war äußerst interessant.
Sie hatten zwölf Laptops gefunden, auf denen teilweise noch die Inventar-Aufkleber der Universität prangten. Wenn mich nicht alles täuschte, hatten wir also ganz nebenbei eine Einbruchserie aufgeklärt und unsere Erfolgsstatistik damit gehörig aufpoliert. Außerdem hatten sie einige Ecstasy-Pillen sichergestellt, allem Anschein nach aus derselben
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