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Heidelberger Requiem

Heidelberger Requiem

Titel: Heidelberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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zum Joggen braucht. Endlich wollte ich meine guten Vorsätze in die Tat umsetzen. Gleich morgen würde ich damit beginnen, und zwar nach dem Frühstück. Kompromisslos. Jeden Tag, bei Regen, bei Schnee, bei Gewitter und Erdbeben. Keine Ausrede würde ich gelten lassen. Anders ging es bei mir nicht, denn im Erfinden von Ausreden mir selbst gegenüber bin ich ein Genie.
    Später fuhr ich sogar noch nach Karlsruhe, um mein Fahrrad zu holen. Am nächsten Morgen vergaß ich jedoch meine sportlichen Absichten völlig, und erst der Anblick Balkes, der auf einem Rennrad zum Dienst erschien, erinnerte mich daran, dass sich zu Hause ein paar funkelnagelneue gelgepolsterte Nike-Schuhe langweilten.
    Am Abend traf ich die Frau mit der Perlenkette erneut. Ich hatte mir angewöhnt, gegen zehn einen kleinen Abendspaziergang durchs Viertel zu machen. Das trug einerseits zur Beruhigung meiner Nerven bei, andererseits wartete ich natürlich immer darauf, dass sie kam. Ich hoffte, sie einmal aus einem Auto steigen zu sehen, mir eine Nummer merken zu können. Aber es gelang mir nicht. Immer war sie plötzlich da, und mit ihr dieses Lächeln. Noch immer waren wir Fremde füreinander und dabei so intim und vertraut, wie es vielleicht nur Fremde sein können. Diesmal gingen wir wieder nur spazieren. Sie wies mich auf schöne alte Fassaden hin, irgendwo tranken wir ein Glas Wein. Sie blieb nicht lange und schien noch immer traurig zu sein.
    Als ich kurz nach elf nach Hause kam, saßen die Zwillinge in der Küche. Es war unverkennbar, dass sie ein Anliegen hatten.
    »Paps«, begann Sarah kläglich. »Das Schlafen auf diesen Isomatten, das ist nicht gut für uns.«
    »Ein paar Tage haltet ihr noch durch. Dann kommen unsere Möbel, und das Elend hat ein Ende.«
    »Aber wir haben morgens immer solche Schmerzen!«
    Sie zogen herzzerreißende Gesichter und griffen sich völlig gleichzeitig ins verdächtig gebeugte Kreuz.
    »Schmerzen?«, fragte ich aufmerksam.
    Sie nickten betrübt. »Und es wird jeden Tag schlimmer!«
    »Dann geht ihr morgen am besten gleich zum Arzt. Ich werde mich erkundigen, ob es in der Nähe einen guten Orthopäden gibt.«
    Alarmiert sahen sie auf. »Und was macht der?«, fragte Louise.
    »Krankengymnastik verschreiben. Einige Wochen Rumpfbeugen und Liegestütze, und ihr werden sehen, schon geht’s euch wieder blendend.«
    Das Gespräch lief eindeutig nicht so, wie sie gehofft hatten. Schließlich trollten sie sich. Ich wusste nicht, was sie hatten erreichen wollen mit ihrer Hexenschuss-Show. Jedenfalls war es schief gegangen.
    Die zweite Angriffswelle kam beim Frühstück. Sie klagten über Kopfschmerzen. Nachdem ich sie ein bisschen bemitleidet hatte, rückten sie endlich heraus mit ihrem Problem.
    »Paps, du schreibst uns doch eine Entschuldigung für die ersten zwei Stunden, ja? Danach geht’s uns bestimmt besser, und dann gehen wir auch in die Schule! Ehrlich!«
    »Habt ihr Mathe in den ersten Stunden?«
    »Sport«, ächzte Sarah mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    »Und Sport mit solchen Kopfschmerzen …«, ergänzte Louise weinerlich und griff sich mit einer gut gespielten Geste an die Stirn.
    »Wisst ihr was? Ihr sagt eurer Lehrerin, wie schlecht es euch geht. Dann dürft ihr auf der Bank sitzen und zugucken. Und vielleicht wird euch ja mit der Zeit besser, und ihr könnt am Ende doch ein bisschen mitturnen. Das wird euren Rücken bestimmt gut tun.«
    Sicherheitshalber blieb ich sitzen, bis sie weg waren. Dann nahm ich zwei Vitamin-A-Pillen, zog feierlich mein federleichtes und windschlüpfriges T-Shirt an, die funkelnagelneuen, sportlich glänzenden Lauf-Shorts und schlüpfte in meine ultraleichten Hochleistungsschuhe. Heute würde ich eine Tradition eröffnen, die erst dann ein Ende finden würde, wenn ich mich nicht mehr auf eigenen Beinen fortbewegen konnte. Vor Jahren hatte ich einmal an einem Halbmarathon teilgenommen. Zwar war ich ungefähr zur selben Zeit ins Ziel gekommen wie das Mittelfeld des Ganzmarathons, aber ich hatte durchgehalten. In ein, zwei Monaten wollte ich meine alte Form wieder erreicht haben.
    Zur Lockerung machte ich einige Rumpf- und Kniebeugen. Die Gelenke knackten bedenklich, und nach der dritten Verbeugung fürchtete ich einen Moment, nun selbst einen Hexenschuss zu haben. Außerdem war ich schon ziemlich außer Atem. Ich beschloss, einen Augenblick zu verschnaufen. Draußen schien die Sonne. Bestimmt war es schon wieder viel zu warm für diese Tageszeit. Vielleicht nicht gerade die

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