Heidelberger Wut
Akteneinsicht verlangt, die ich ihm natürlich gerne gewährte. Nun war sein Blick berufsmäßig empört. Ich meinte sogar, ihn hin und wieder in mühsam zurückgehaltenem Zorn schnauben zu hören. Gute Strafverteidiger sind eben immer auch talentierte Schauspieler. Und Knobel schien ein wirklich guter Anwalt zu sein.
Schon bei den ersten Sätzen des Gesprächs fiel mir auf, dass es Seligmann heute nicht mehr so leicht fiel, die Hände ruhig zu halten. Sein rechtes Auge zuckte in regelmäßigen Abständen, der ausgeprägte Adamsapfel wollte nicht zur Ruhe kommen, die Augen waren ständig auf der Suche nach einem Fluchtweg, den es nicht gab.
»Auf mein Anraten hin wird mein Mandant von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch machen«, erklärte Doktor Knobel mit einer Fistelstimme, die den wutschnaubenden Eindruck, den er zu machen versuchte, ein wenig ad absurdum führte. »Ihre so genannten Indizien sind im Übrigen das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen!« Verächtlich schlug er auf die dünne Akte, die ich ihm vorhin ausgehändigt hatte. »Wir werden natürlich umgehend Haftprüfung beantragen!«
»Das ist nicht nötig, da Herr Seligmann noch gar nicht in Haft ist«, erwiderte ich verbindlich. »Vorläufig ist er lediglich festgenommen. Wie die Staatsanwaltschaft darüber denkt, werden wir im Lauf des Vormittags erfahren. Aber ich bin zuversichtlich, dass man dort meine Einschätzung teilt.«
»Dieses Handy, das ist doch lachhaft!«, bellte Knobel. »Auch das Geld kann jeder andere in Herrn Seligmanns Wagen deponiert haben.«
»Sie haben Recht, noch haben wir keinen stichhaltigen Beweis, dass er selbst es war. Wir haben an den Asservaten keine Fingerabdrücke gefunden, also werden wir uns nun auf die Ergebnisse des Genetischen Fingerabdrucks stützen müssen. Zumindest an dem Handy werden wir DNA-Spuren finden, davon bin ich überzeugt.«
»Wir bleiben bei unserem Standpunkt: Mein Mandant hat diese Dinge niemals berührt.«
»Und dennoch wird er vorläufig hier bleiben müssen.« Ich klappte meine Akte zu und erhob mich. »Der Haftbefehl ist beantragt, da in unseren Augen erhöhte Fluchtgefahr besteht. Es ist Ihnen bekannt, dass Ihr Mandant erst kürzlich eine Woche abgetaucht ist.«
»Er ist aus freien Stücken zurückgekehrt!«
»Unser Labor tut sein Möglichstes, aber einige Tage werden wir leider warten müssen. DNA-Analysen brauchen ihre Zeit.«
»Wir protestieren auf das Schärfste!« Doktor Knobel wurde noch ein wenig größer und lauter, was bei seiner Piepsstimme reichlich komisch wirkte. »Ich verlange die sofortige …«
»Halten Sie die Klappe«, brummte Seligmann, ohne aufzusehen.
»Bitte?«
»Hauen Sie ab. Ich brauch Sie nicht mehr.«
»Aber … Wieso?«, stammelte der Anwalt, als er sich wieder halbwegs gesammelt hatte. »Hören Sie, man darf Sie hier nicht festhalten! Selbst wenn der Verdacht weiter aufrechterhalten wird, was ich mir in Anbetracht der Sachlage kaum vorstellen kann, Sie sind ein unbescholtener Bürger. Ich sehe absolut keine erhöhte Fluchtgefahr. Man kann Sie hier unmöglich …«
»Sie sollen die Klappe halten. Ich will ein Geständnis ablegen.« Der Blick, mit dem Seligmann mich ansah, hatte etwas zutiefst Trostloses. »Ja, Sie haben Recht. Ich habe mir das alles ausgedacht mit dem Banküberfall. Geplant, organisiert, alles, ja. Sie können sich Ihre DNA-Analyse schenken. Wäre nur Verschwendung von Steuergeldern.«
»Wo haben Sie denn nun letzte Woche gesteckt?«, fragte ich Seligmann, nachdem Doktor Knobel nicht ohne förmlichen Protest den Rückzug angetreten hatte.
Inzwischen war unser Verdächtiger mit Kaffee und einem Aschenbecher versorgt, rauchte seit einer halben Stunde Kette und redete fast pausenlos. Rasch war diese Harmonie eingetreten, dieses immer ein wenig traurige Einverständnis, das bei Verhören entsteht, sobald das Eis gebrochen ist. Plötzlich ist man nicht mehr der Feind, sondern der Beichtvater, oft genug am Ende sogar ein Freund. Vielleicht der einzige Freund, der einem noch geblieben ist in all dem Elend, das man durchlitten hat. Der Erste, mit dem man reden kann, der einem zuhört. Der einen wieder frei atmen lässt. Endlich.
Bedächtig streifte er die Asche seiner fünften oder sechsten Roth-Händle in den großen dunkelgrünen Aschenbecher mit dem Emblem der Eichbaum-Brauerei.
»Ich bin einfach drauflos gefahren. Muss irgendwann nach zwei Uhr nachts gewesen sein.«
»Ihr Wagen hat ganz schön gelitten dabei.
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