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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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gehen. Aber so weit ist es zum Glück nicht gekommen. Es ist mir gelungen, ihn zu besänftigen. Aber es war für uns alle äußerst unangenehm.«
    »Und das andere Mal?«
    »Da ist er mit jemandem vom Oberschulamt in Streit geraten. Den Anlass weiß ich nicht mehr. Aber die Situation war ähnlich. Es war peinlich. Ja, peinlich.«
    »Wenn jemand mit achtundvierzig in Pension geht, dann ist sein Einkommen anschließend nicht gerade üppig. Könnten Sie sich vorstellen, dass er Geldsorgen hat?«
    »Haben wir die nicht alle mehr oder weniger?« Wieder dieses Lachen, bei dem einem warm ums Herz wurde. »Xaver lebte schon immer sehr bescheiden in seinem geerbten Häuschen. Außerdem kann er rechnen und neigt gewiss nicht zur Verschwendung.«
    »Er gibt sein Geld jeden Monat bis auf den letzten Rest aus. Wenn ich seine Ausgaben überschlage – es passt nicht mit den Einnahmen zusammen. Da bleiben Monat für Monat ungefähr fünfzehnhundert Euro, die scheinbar spurlos verschwinden. Ob er sich ein teures Hobby zugelegt hat? Glücksspiel? Eine kostspielige Freundin? Seit Jahren fährt er zwei Mal die Woche irgendwohin und bleibt für Stunden weg. Aber er will uns nicht verraten, was sein Ziel ist.«
    »Auch wenn er mal cholerisch werden kann, Xaver ist im Grunde kein sehr leidenschaftlicher Mensch«, erwiderte sie nach einigem Nachdenken. »Nein, ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er der Spielsucht oder einer Frau verfallen sein sollte.« Mit offenem Blick sah sie mich an. »Worum geht es eigentlich? Er wird doch nicht etwa eines Verbrechens verdächtigt?«
    »Doch. Leider. Worum es geht, darf ich Ihnen im Augenblick noch nicht verraten. Nur so viel: Einige Indizien sprechen sehr gegen ihn. Auf der anderen Seite werde ich das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt bei dieser Geschichte. Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt mit ihm?«
    »Vor acht Jahren? Oder neun? Ich weiß es nicht mehr.«
    Im Vorzimmer telefonierte Sönnchen lautstark. Nach dem Ton und dem häufigen Lachen zu schließen, war es kein Dienstgespräch. Einmal fiel das Wort »Kerner«.
    »Weshalb ist er so früh aus dem Dienst ausgeschieden? Ihr Chef machte eine Andeutung, es ging um eine psychische Erkrankung.«
    »Die Psyche, ja.« Ihr Miene wurde bitter. »Es war eine Depression mit allen Symptomen, die man sich denken kann. Schrecklich, das mit ansehen zu müssen. Er war doch so gerne Lehrer, die Schüler haben ihn gemocht. Und er wollte ja auch gar nicht in Pension. Im Gegenteil, das Oberschulamt musste ihn geradezu zwingen.«
    »Depressionen haben manchmal einen Anlass«, warf ich leise ein.
    »Einen Anlass«, wiederholte sie ebenso leise und sah an mir vorbei auf die Aktenordner hinter meinem Rücken. An den Händen trug sie verschiedene Ringe, alle hübsch, alle nicht sonderlich wertvoll. Ihr dezent gemustertes langes Baumwollkleid ließ vermuten, dass Frau Hellhuber hin und wieder vom einfachen, gesunden Leben träumte. Ihr Gesicht war ungeschminkt, das für meinen Geschmack zu lange und schon stark ergraute Haar trug sie offen.
    Sie nahm einen kleinen Schluck von ihrem inzwischen kalten Cappuccino.
    »Seltsam, dass Sie das ansprechen. Ich habe nämlich oft über diesen Punkt nachgedacht. Es ist damals tatsächlich etwas geschehen, was vielleicht den Anlass gab für seine Erkrankung.«
    Draußen legte Sönnchen mit einem Lachen auf, und es wurde wieder still.
    »Seine Frau hat ihn damals verlassen, nach nicht einmal zwei Jahren Ehe. Aber da hat man ihm nichts angemerkt, das ließ ihn merkwürdigerweise völlig kalt. Richtig schlimm wurde es erst, nachdem er einem Mädchen das Leben gerettet hatte.«
    »Jule Ahrens.«
    »Sie kennen die Geschichte.«
    »Einem Menschen das Leben zu retten, ist eigentlich kein Grund, depressiv zu werden.«
    »Das ist natürlich wahr.« Traurig lächelte sie mich an. »Und ich verstehe es auch nicht. Aber es ist so: Wenige Wochen nach diesem Ereignis hat er zum ersten Mal gefehlt. Danach hat er sich rapide verändert. Bald kam auch noch der Alkohol dazu. Zuvor war mir nie aufgefallen, dass er trank. Man riecht das ja.«
    Ein Hubschrauber knatterte im Tiefflug über uns hinweg in Richtung Westen, und sie musste kurz unterbrechen.
    »Dann war er immer öfter krank, kam zu spät, seine Wutausbrüche wurden immer häufiger und sinnloser. Und nach einem halben Jahr ungefähr ging es wirklich nicht mehr.«
    Mein Telefon klingelte. Mit einer gemurmelten Entschuldigung hob ich ab. Es war Rolf Runkel, wie ich am

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