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Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
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der Straße umdreht. Jule hatte ihre Schüler-Monatskarte für Busse und Straßenbahnen bei sich gehabt. Bedeutete das, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen war? Aber warum hatte niemand sie dabei gesehen? Warum, zur Hölle, hatte sich kein einziger Zeuge gemeldet, obwohl ihr Bild doch an den Tagen nach der Tat in jeder Zeitung war?
    Ich faltete meinen Stadtplan auseinander. Der Zeigefinger meiner rechten Hand markierte ihr Elternhaus in der Südstadt, der andere die Stelle, wo sie spät nachts gefunden wurde. Dazwischen war Stadt. Vier, fünf Kilometer, am frühen Abend voller Menschen. Wie hatte sie nach Eppelheim gelangen können, die Autobahn überqueren, ohne von irgendjemandem beobachtet zu werden?
    Hinter meiner Stirn hämmerten die Kopfschmerzen. In meinem Magen rumorte diese Übelkeit, die einfach nicht verschwinden wollte. Ich verfluchte den Nero d’Avola. Ich verfluchte den Ladeninhaber, der mir das Zeug verkauft hatte. Ich verfluchte den Wahnsinnigen, der vor Jahrtausenden auf die hirnrissige Idee gekommen war, den Wein zu erfinden. Ich verfluchte mich, weil ich dabei war, mich vor aller Welt zum Narren zu machen. Vor meiner Sekretärin, vor meinen Mitarbeitern, vor meinen Töchtern.
    Und, was das Schlimmste war, vor mir selbst.
    Ich hörte Sönnchen telefonieren. Auf dem Display meines Laptops leerte sich nach und nach der Terminkalender. Die Tablette half nicht.
    Zu allem Elend rief auch noch Theresa an.
    »Man hört ja überhaupt nichts mehr von dir«, lautete die fröhliche Begrüßung. »Hast du mich etwa vergessen?«
    »Ja«, antwortete ich Narr.
    Mit Mühe gelang es mir, sie wieder zu besänftigen. Schließlich versprach ich, sie heute Abend zu treffen, falls mein Terminkalender es erlaubte. Ich schilderte ihr den Fall, und sie heuchelte ein wenig Verständnis.
    Ich musste raus. Ich brauchte frische Luft in den Lungen, auf denen ein Felsklotz zu liegen schien.
    Ohne mich anzumelden, fuhr ich nach Ladenburg, um Seligmanns geschiedene Frau noch einmal aufzusuchen. Den Dienstwagen, einen neuen Audi, mit dessen Elektronik ich nicht zurechtkam, ließ ich weit außerhalb der Altstadt stehen. Während der Fahrt hatte eine nette Frauenstimme mir ständig einzureden versucht, ich hätte mich verfahren, weil ich nicht herausfand, wie man das Navigationssystem ausschaltete. Den letzten halben Kilometer ging ich zu Fuß. An jeder zweiten Ecke blühten Rosen, ein Haus war schöner als das andere. Aber heute hatte ich keinen Blick für den Charme dieses Städtchens. Wenigstens hatte sich die Sonne hinter hohen Wolken verzogen. Doch die frische Luft half nicht, meine Kopfschmerzen wurden nicht schwächer.
    »Da haben Sie aber Glück, dass Sie mich antreffen«, sagte Monika Eichner, als wir uns die Hand reichten. »Normalerweise müsste ich heute arbeiten. Aber jetzt hat unseren Chef die Grippe niedergestreckt. Deshalb ist die Praxis bis morgen zu.«
    Wir gingen in die Küche. Sie machte sich sofort am Herd zu schaffen.
    »Sie mögen doch einen Tee?«
    Ihre Stimme klang ganz anders, als ich sie in Erinnerung hatte. Heller, jünger, frischer. Ihr Blick war heute freundlich und offen. Wie eine einfache Erkältung einen Menschen verändern kann.
    »Haben Sie Xaver gefunden? War er wirklich in der Provence, wie ich gesagt habe?«
    »Er hat sich selbst gestellt. Er ist zurückgekommen.«
    »Das sieht ihm ähnlich.« Das Wasser begann zu summen. Sie wandte sich wieder ihren Gerätschaften zu. »Er macht immer solche Sachen, die sich kein Mensch erklären kann.«
    Mit konzentrierten Bewegungen füllte sie Tee aus einer großen, goldfarbenen Dose in einen Filterbeutel. Es tat mir gut, diese Frau bei ihrer einfachen Tätigkeit zu beobachten. Das langsam lauter werdende Summen des Wasserkessels, das leise Klappern des Löffels empfand ich als Wohltat. Ich lehnte mich zurück. Zum ersten Mal im Leben freute ich mich auf einen Tee.
    »Wir haben ihn verhaftet, weil er im Verdacht steht, den Überfall auf die Sparkassenfiliale seines Nachbarn organisiert zu haben.«
    »Xaver?« Vor Schreck setzte sie den Wasserkessel wieder ab, dessen Inhalt sie eben in die Kanne hatte füllen wollen. »Er soll …? Nein, das hätte ich ihm nun wirklich nicht zugetraut!«
    Kopfschüttelnd goss sie den Tee auf.
    »Was hätten Sie ihm denn stattdessen zugetraut?«
    Sie lachte. »Er kann manchmal ganz schön grob werden, das ja. Es hat Situationen gegeben, da hatte ich Angst vor ihm. Er kann sich so in etwas

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