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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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knieten auf einem dünnen Kissen, verbeugten den Oberkörper, stießen harte Laute in ein Mikrofon, hielten ein bitteres, reuig-ernstes Gesicht in die Kamera – und stürzten sich dann ins Schwert. Harakiri klang eigentlich nach etwas Essbarem, irgendwie nach Geflügel. Nun – es war was dran an dem Satz, dass man von anderen Kulturen lernen konnte, also wieso nicht auch von der japanischen. Diese Tradition entlastete die Seele des Volkes und gab frischen Kräften eine Chance – etwas sehr Begrüßenswertes.
    Schielin zürnte beim Überqueren einer Streuobstwiese über diese Bande Gieriger, die – gleich einer Horde Besoffener – im salle petites jeux mit dem großem Geld anderer herumgezockt hatten. Es war zum Verrücktwerden – und die hatten sich getraut, Büchergeld für Schulkinder zu verlangen – einfach unglaublich. Ronsard holte im Vorübergehen ein Büschel Gras vom Wegrand und teilte Schielins Entrüstung nicht in gleichem Maße, jedenfalls nicht offensichtlich. Schielin sah zu, wie sich der Unterkiefer in gleichmäßigem Takt dem Gras zuwandte. Er steigerte das Empören und kam auf die Verwaltungsreform zu sprechen. Darauf, dass nun Förster, die ja so wahnsinnig teuer und nahezu unbezahlbar waren, an irgendwelchen Schulen unterrichteten, schimpfte davon, dass eine Polizeireform mehr Sicherheit und Effizienz bringen sollte durch Beseitigung von Wasserköpfen und Stelleneinsparung. Gleichzeitig verkündete ein zuständiger Minister vor Mikrofonen und Kameras den höchsten Personalstand bei der Polizei überhaupt. Schielin blieb stehen. Wenigstens jetzt erwartete er eine Reaktion von Ronsard. Das musste die Welt doch verstehen, dass die Dinge nicht mehr zusammenpassten, dass eine Nachricht der anderen widersprach und es in dem Informationswust niemandem mehr auffiel. Desinformation durch Überinformation.
    Ronsard war stehen geblieben, mochte aber immer noch nichts von Schielins Aufregung wissen. Der stand immer noch da und sah ihm beim Kauen zu. Alles an Ronsard strahlte Ruhe und Gelassenheit aus. Es ging ihm gut, zweifelsfrei, gleich ob Milliarden verschwunden waren, gleich ob Regierungen wechselten – ein Büschel Gras würde es immer geben und jemanden, der einem das Fell tätschelte. Schielin erwog, ob er ein wenig von der Klimakatastrophe, dem Waldsterben oder dem Ozonloch erzählen sollte. Aber er ließ es sein – das war alles schon wieder Schnee von gestern.
    Das Gemüt eines Esels war mit dem, was einen Menschen in Aufregung versetzte, nicht in Wallung zu bringen. Schielin fiel ein, dass irgendeiner dieser Staatsfunkjournalisten, die jetzt wieder alles genau wussten, so genau, wie sie zuvor dem Finanzmob hinterhergesprungen waren, einer von denen jedenfalls hatte neulich im Fernsehen gesagt, dass bei den Banken wohl einige Esel in führender Funktion tätig gewesen wären.
    Es war eine Schande, so etwas zu sagen, wenn man einen Bezug zu Eseln hatte – so wie Schielin –, der gerade hier im Motzacher Wald stand und Ronsard betrachtete. Wo wir Menschen gierig waren, zeigten uns Esel Genügsamkeit, wo wir aufgeregt waren, verströmten Esel stoische Gelassenheit, wenn es gefährlich wurde und andere davonliefen, blieben Esel stur an Ort und Stelle – sie waren keine Fluchttiere. Wenn es nur mehr Esel gäbe an führender Stelle, dachte Schielin, wenn es nur mehr Esel gäbe.

    In der Nacht dann, die Kinder und Marja waren schon im Bett, goss Schielin den Rest des Rotweins aus der Flasche in ein Glas, nahm Bamms Notizbuch samt den Unterlagen, die sein aktuelles Buch betrafen, und zog sich in sein Kämmerchen im Dachboden zurück. Miles Davis Trompetenklage drang leise aus den Lautsprechern. Das neue Buch war, soweit es aus Bamms Aufzeichnungen hervorging, fast fertig gewesen. Ein Artikel war mit einem Fragezeichen versehen, und es existierten dazu nur einige Blätter mit Notizen, die Schielins Interesse schnell auf sich zogen. Günther Bamm war bei seinen Recherchen an einen Kunsthändler in Wiesbaden geraten, der ihm von einem Verkaufsangebot erzählte, das eine Picasso-Lithografie betraf. Bamms Recherchen hatten ergeben, dass von der kleinen zweistelligen Auflage nur noch wenige Blätter existent waren und dass Blatt Nummer 43/60 im Besitz der Familie Hirschmann gewesen war. Professor Max Hirschmann hatte 1941 Selbstmord begangen, und seine nichtjüdische Witwe hatte sich, um überleben zu können, nach und nach von Kunstwerken, Schmuck, Geschirr, Silberbesteck und Porzellan getrennt. Bamm

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