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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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hatte einiges aufgelistet. Er war in einem Archiv neben vielem anderen sogar auf eine Kopie der Quittung für den Verkauf der Lithografie gestoßen.

    Schielin legte die losen Papierbogen zur Seite und nahm das Notizbuch zur Hand. Er blätterte durch die wild beschriebenen, bekritzelten Seiten des Notizbuches und versuchte, den Buchstabenkürzeln, Worten, Halbsätzen, Skizzen und Zeichnungen etwas Informatives zu entnehmen, vielleicht eine Querverbindung zu dieser Picasso-Lithografie. Nachdem er zweimal eher lose durch die Seiten gegangen war, weit mehr auf Intuition hoffend, als auf die Kraft seiner Folgerungsfähigkeit und Fantasie zu vertrauen, änderte er sein Vorgehen.
    Es war nun still im Haus. Wie aus einer weiten Unendlichkeit drang in unsteter Regelmäßigkeit das Schütteln des Kühlschranks von unten herauf, wenn sich der Kompressor abschaltete. Das Haus selbst gab Geräusche von sich, die lange schon vertraut waren. Die Melodienfolgen aus den Lautsprechern, der Wein, alles zusammen entführte Schielins Gedanken immer wieder an andere Orte und Geschehnissen, die mit seinem aktuellen Fall gar nichts zu tun hatten. Während er gerade an eine Szene des letzten Urlaubs dachte, einen Schluck Wein für einige Sekunden im Mund hielt, um den Geschmack in aller Fülle zu erfahren, während er einem klagenden Trompetenton folgte und seine rechte Hand mechanisch blätterte – in diesem entrückten Zustand war etwas gewesen, das durch den wohligen Nebel hindurch seine Wachsamkeit ansprach. Er schluckte den Crozes-Hermitage und richtete sich auf. Auf den letzten Seiten, die er so nebenbei überflogen hatte, hatte etwas gestanden. Er blätterte ein paar Seiten zurück und suchte. Auf der linken Seite wurde er fündig. Oben rechts hatte Bamm mit Bleistift eine Sonne gezeichnet, mit Gesicht – sie lächelte. Darunter einen Regenschirm mit zwei Beinen, ebenfalls mit lachendem Gesicht. Allerlei Striche, Kreise, Rechtecke und wilde Faxen darum herum gemalt, ganz so, wie man es während längerer routinierter Telefonate macht oder in Telekom-Warteschleifen hing, bei grausiger Musik und noch mieserem Service. Es folgten Notizen ein Konzert betreffend, Tschaikowsky, Symphonie Nummer 5. Dann folgten Zahlenreihen, Uhrzeiten, wie der Doppelpunkt zwischen den Ziffern nahelegte. Rechts klebte die Visitenkarte eines Professors, der seine Dienste als Personal-Coach anbot. Auch sie war bemalt. Daneben stand ein Absatz, in dem es um die Wirkung von Kunst auf unser Gehirn ging. Dann folgten wieder Zahlen. Zwischen den Zahlen und der Textnotiz waren große Buchstaben, die mehrfach nachgezogen waren und über die gesamte Seite, vom linken Rand bis direkt an den Heftrand reichten. Die Abstände zwischen den Buchstaben waren weiträumig, was dazu führte, sie als einzelne Lettern wahrzunehmen – genau dann, wenn das Gehirn auf der Suche nach lesbaren Informationen war und gelernt hatte, welche Abstände hierfür infrage kamen. Die fast beiläufige Weise, in der Schielin auf die Seite gestoßen war, offenbarte die wahre Information, die lautete: Geldübergabe.
    Eine Zahl in nächster Nähe war vierstellig 2130, und am rechten Rand war ein Wort von oben nach unten geschrieben: Rhein. Von dort zweigte ein Wort nach links ab. Park. Das alles fand sich zwischen Texten und scheinbar krakeligen Faxen. Es konnte also bedeuten: Geldübergabe um einundzwanzig Uhr dreißig, Rheinpark. Der befand sich in St. Margrethen, dem ersten schweizerischen Ort jenseits der Grenze, und auf dem Parkplatz dort hatte schon einmal einer Geldübergabe stattgefunden. Damals war es ein Koffer mit Millionen, bestimmt für eine politische Partei. Was war es diesmal?
    *
    Am nächsten Morgen setzte Marja ihn an der Dienststelle ab. Ein strammer Wind zog von Westen über den See, und die ersten Blätterherden trieben über die Straßen. Bevor Schielin ins Büro ging, legte er Robert Funk das Notizbuch zur Durchsicht auf den Schreibtisch – andere Augen sahen anders.
    Lydia Naber kaute an einer Laugenbreze. Er schnupperte – immer noch kein Duft von Kaffee in der Luft. Während er die Unterlagen sortierte, berichtete sie in groben Zügen von den Ergebnissen der Obduktion. Im Wesentlichen wurde bestätigt, was die junge Ärztin am Montagmorgen schon festgestellt und geschlussfolgert hatte. Er meinte, dass die Kleine eine ganz fixe sei, worauf Lydia Naber etwas spitz erwiderte, es sei keine Kleine gewesen, sondern eine Junge.
    An der Morgenbesprechung nahm zum ersten Mal

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