Heidenmauer
habe zwar Kunst studiert, das aber nie als berufliche Möglichkeit in Betracht gezogen, weil ich sehr früh erkannte, wie mäßig mein Talent war, und dass ich immer nur zu grober Mittelmäßigkeit würde fähig sein können. So habe ich eine Kaufmannsausbildung drangehängt und bin eben Kunsthändler geworden. Vor einigen Jahren habe ich mich auf die Suche nach dem Bild gemacht, schließlich hatte ich die Verbindungen dazu und auch den Zugang zu gewissen Katalogen und Datenbanken. Aber das alles mit sehr geringem Erfolg. Im Sommer dieses Jahres bekam ich dann einen Anruf von Herrn Bamm, der recherchierte gerade für sein Buch, und er sagte mir, dass er zwar keine Geschichte über das Bild, welches ich suchte, verfassen wollte, dass seine Recherchen jedoch Informationen über den Verbleib des von mir gesuchten Bildes zutage gefördert hätten. Er wollte nur noch einige Daten überprüfen, und wir wollten uns am Sonntag auf der Insel treffen.«
»Wieso denn erst so spät am Abend?«
»Er sagte, er käme erst am Abend mit dem Zug aus München zurück. Genaueres weiß ich darüber leider nicht.«
»Mhm.«
»Wann waren Sie wieder hier zurück?«
Seine Frau meldete sich erneut: »Das Taxi war so halb zwölf Uhr hier, es kann auch schon etwas näher an Mitternacht gewesen sein.«
»Sie waren also mit dem Taxi unterwegs«, stellte Robert Funk fest.
Sie antwortete. »Nur der Rückweg. Es war auch besser so, denn im Hotel da auf der Insel gab es ein, zwei … Whiskey …«
Robert Funk lächelte. »Das war besser so, wirklich. Aber schade, was das Bild angeht. Nun sind Sie eigens hierher gekommen und jetzt das …«
Beide verneinten. »Nein, nicht eigens. Wir kommen jedes Jahr im Übergang vom Sommer zum Herbst hierher ins Bad Schachen und verbringen einige genussvolle Tage. Ich liebe diesen Blick zur Insel hinüber … wie gesagt … viele Erinnerungen. Und das Hotel liegt einzigartig schön. London ist sehr hektisch, gleich wo, man kann sich diesem Stampfen und Rumoren nie ganz entziehen. So ist es in den ersten Tagen immer völlig unwirklich hier, die Vögel singen zu hören, die Geräusche des Sees zu empfangen, so zart, alles kommt wie von fern. Und in den Gängen und Sälen hier im Hause schwebt ja zweifelsfrei der Geist des Zauberbergs. Es ist eine Reise in die Vergangenheit. Außerdem erleben ja auch wir im Moment den Beginn einer Epoche des Verfalls.«
Schielin wusste darauf nichts zu antworten. Das mit dem Zauberberg konnte er nachvollziehen. Sicher, Madame Couchat hätte sehr gut in das Interieur gepasst, und kaum einer hätte sich gewundert, wäre sie mit ihrem bitteren Lächeln durch die Räume geschwungen. Unter der Äußerung Beginn einer Epoche des Verfalls, konnte er sich durchaus etwas vorstellen, war sich aber nicht im Klaren darüber, was Leo Korsch genau damit sagen wollte. Mitten in seinen Gedanken hörte er sich plötzlich den banalen, beinahe peinlich klingenden Satz sagen: »Im Sommer ist es hier aber auch sehr schön.« Er ärgerte sich darüber, kaum dass es gesagt war, und äffte sich im Geiste selbst nach. »Im Sommer ist es hier aber auch sehr schön.«
Es war Frau Korsch, die antwortete. »Sicher, sicher. Aber jetzt, wo es doch ruhiger geworden ist und das Licht mehr wie ein Schleier erscheint, denn als reine, strahlende Helligkeit, da offenbart der See am deutlichsten seine Seele – eine melancholische, eine romantische Seele.«
Ihr Mann nickte dem Boden zu und sagte: »Novalis.«
»Eine Frage noch, Herr Korsch. Günther Bamm hat nicht versucht, Sie am Sonntag zu erreichen, hier im Hotel vielleicht, über Handy oder anderswie, um den Termin abzusagen?«
»Nein, sonst wäre ich ja nicht auf die Insel gefahren.«
»Ich frage nur, weil Herr Bamm, nach allem was wir bisher von ihm wissen, nicht ohne Grund einen Termin wie diesen platzen lässt.«
Leo Korsch zuckte mit den Schultern. »Es ist ganz sicher etwas dazwischengekommen, etwas was nicht gut für ihn ausgegangen ist.«
*
Schielin und Robert Funk fuhren in Richtung Unterreitnau davon, wo Funk den Stadel in Augenschein nehmen wollte, der am Wochenende zuvor aufgebrochen worden sein sollte. Sie schwiegen auf den ersten Kilometern, noch dem Eindruck der letzten Stunde verhaftet. Schielin unterbrach das Schweigen und sagte, dass er als Nächstes die Unterlagen sichten wolle, die Günther Bamm für sein neues Buch zusammengetragen hatte, denn die Erkenntnis aus dem Gespräch mit dem Ehepaar Korsch legte nahe, dass Bamm bei seinen
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