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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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und kam einen Schritt näher, um ihr das Foto aus der Hand zu nehmen. »Du weißt, ich habe nur ein Auge.«
    »Aber vier Ohren«, sagte sie etwas gehässig und sah, wie ihm der Mund offen stand. »Natürlich kenne ich den.«
    »Schau genau hin«, ordnete sie an.
    »Hey! Wenn ich sage, ich kenne den, dann kenne ich den!«
    Sie trat nahe an ihn heran, packte sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und hob seinen Kopf an. Mit inspizierendem Blick sah sie ihm in die Augen.
    Er wich zurück. »Was soll denn das?«
    »Ich will nur schauen, ob du vielleicht gekifft hast, geweitete Pupillen und so. Nicht, dass du mir hier irgendein Fantasiestückchen andrehst.«
    Er klang beleidigt. »Ja super, danke für das Vertrauen, das du deinem treuesten Freund entgegenbringst«
    »Hunde sind treu«, stellte sie mit sachlichem Ernst fest.
    Er ging nicht darauf ein. »Und übrigens – falls die Pupille vom linken Auge geweitet sein sollten, dann war der letzte Stoff wirklich vom Allerfeinsten – mein linkes ist nämlich das Glasauge.«
    Er bekam kein Mitleid, denn sie wusste, wie gut er mit diesem einen verbliebenen Auge zurechtkam. Zu Beginn ihrer Bekanntschaft war sie auf die Tour einige Male hereingefallen. Sie sah ihn vorwurfsvoll an und legte den Kopf schräg.
    »Ich kenne den wirklich«, wiederholte er.
    »Woher?«, fragte sie streng.
    »Das ist der Gasmann von der Apothekerin, drüben im Pfeiffergässele?«
    Sie grinste ihn an, ging auf ihn zu und tippte auf seine Stirn. »Ich sage es doch – Kiffen macht blöd!«
    *
    Am frühen Nachmittag trafen sie sich zur Besprechung. Robert Funk hatte Schielin zuvor darüber unterrichtet, dass im Auktionshaus Zeller noch nie jemand etwas von Ludwig Rubacher gehört hatte.
    Vom Gang her drang immer wieder Hämmern und Sägen in das Besprechungszimmer. Ein Trupp Arbeiter entfernte die Oberlichter über den Bürotüren, die einer Verordnung zufolge den feuerrechtlichen Bestimmungen nicht mehr entsprachen. Jasmin Gangbacher war draußen geblieben und passte auf.
    Schielin berichtete von seinem Gespräch mit Mirabeau Sehender, das ihm in allem, was sie besprochen hatten, nach wie vor außergewöhnlich erschien. Wenn er den Worten, die sie gewechselt hatten, in Gedanken nachspürte, so blieb er bei Esau hängen, von dem Günther Bamm erzählt hatte.
    Er fragte in die Runde: »Esau. Worum ging es genau bei Esau noch mal. Ich weiß nur noch, dass er der älteste Sohn war.«
    »Von Isaak und Rebecca«, warf Robert Funk ein. Erich Gommert stand auf und ging nach draußen.
    Schielin machte weiter. »Sein Bruder Jakob knöpfte ihm im Tausch gegen ein Linsengericht das Erstgeburtsrecht ab. Das war doch so, oder?«
    Robert Funk nickte.
    »Und war da sonst noch was?«, fragte Schielin, der nach einer Verbindung zu ihrem Fall suchte.
    Gommert kam wieder zurück und setzte sich. In der Hand hielt er ein schwarzes Buch.
    »Bibel?«, fragte Wenzel und reckte den Kopf, »seit wann haben wir denn eine Bibel hier?«
    »Seit der Verwaltungsreform! Irgendeinen Trost braucht mer ja schließlich. Du hast ja nichts mit denen in Kempten droben zum tun … ich sage dir, da sind zu viele Leut, von denen viele nicht wissen, was sie tun, oder tun sollen …« Er unterbrach seine Tirade und blätterte gekonnt. Dann hob er den Zeigefinger. »Do stehts, Genesis fünfundzwanzig.« Obwohl nun alle hinhörten, las er stumm für sich, und nur seine Lippen bewegten sich.

    Robert Funk meinte: »Soweit ich mich erinnere, war das Problem, dass Jakob als der Jüngere den Segen des Vaters wollte. Isaaks Lieblingssohn war Esau, aber Rebecca hat den Jakob mehr gemocht – und da waren das Elend und der Verdruss schon mit im Päckchen gelegen. Der Isaak war doch alt und blind und hat gar nicht mitbekommen, dass er den jüngeren Jakob segnet und nicht den erstgeborenen Esau. Wo der Jakob auch noch gerochen hat wie sein Bruder. Betrug, wohin man blickt. Für den Esau ist dann nur noch ein magerer Spruch übrig geblieben.«
    Erich Gommert blätterte und las nun laut vor: »Siehe, du wirst wohnen ohne Fettigkeit der Erde und ohne Tau des Himmels von oben her. Von deinem Schwerte wirst du dich nähren, und deinem Bruder sollst du dienen. Aber es wird geschehen, dass du einmal sein Joch von deinem Halse reißen wirst.«
    »Und, weiter«, forderte Wenzel.
    Gommert glitt mit dem Zeigefinger über die Buchstaben und las wieder nur für sich. »Da ist nichts weiter. Der Esau ist der Stammvater von den Edomitern geworden, hat zwei, drei Frauen

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