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Heidenmauer

Heidenmauer

Titel: Heidenmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Maria Soedher
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also versucht, von den Mietern zwei Räume zurückzumieten.«
    »Was denen nicht gepasst hat, wie ich vermute«, meinte Wenzel.
    »So in etwa. Jedenfalls ist der Lindauer Kreisleiter bei Ludwig Armbruster aufgetaucht und hat ihm untersagt, weitere Räume in seinem Haus zu beanspruchen. Er hat ihn als Asozialen beschimpft und gedroht, ihn nach Dachau zu schaffen, das muss man sich mal vorstellen.«
    »Ich will mir das gar nicht vorstellen«, jammerte Gommert.
    »Dieser Kreisleiter, ein gewisser Hans Vogel, war sowieso ein ziemliches Schwein. Residiert hat er im Haus zum Baumgarten, der Schuft.«
    Sie sah zu Schielin. »Du wohnst doch in Motzach, kennst du die Geschichte von dem dreizehnjährigen Buben.«
    Schielin nickte. Er kannte die Geschichte und wusste, worauf sie im Zusammenhang mit Hans Vogel gestoßen war.
    »Mit einem Zwangsarbeitertransport ist auch ein dreizehnjähriger polnischer Bub in Lindau angekommen, ziemlich heruntergekommen. Eine Motzacher Bäuerin hat ihn auf den Hof genommen und erst einmal aufgepäppelt. Der konnte sich dort bewegen wie das eigene Kind. Jedenfalls hatten die dort eine Magd, die sie rausgeschmissen haben, weil sie wohl eine rechte Schlampe war. Von unhygienischer Arbeit war die Rede. Die ist dann auf einen anderen Hof im Allgäu und auch dort nach kurzer Zeit wieder davongejagt worden. Im Vorarlberg ist sie von der Polizei aufgegriffen worden, was damals unangenehm war, denn arbeitslose Knechte und Mägde galten schnell als volksschädliches Gesindel. Und dieses Luder hat der Polizei gegenüber gesagt, sie sei nur vom Motzacher Hof weg, weil ihr der kleine Pole nachgestellt habe.«
    »Kann doch nicht sein?«, sagte Wenzel.
    »Ist aber so. Als der Kreisleiter das erfahren hat, haben sie den Buben sofort vom Hof geholt, zum Tode verurteilt und vierzehn Tage später am Schönbühl auf ein paar Holzkisten gestellt und an einem Baum aufgehängt. Alle Zwangsarbeiter aus Lindau und alle Bauern wurden verpflichtet an, an der Exekution teilzunehmen. Die Motzacher haben sich geweigert, und es ist ihnen auch nichts passiert.« Die anderen schwiegen.
    »Nach dem Krieg, als die Franzosen einmarschiert sind, hat der Herr Kreisleiter versucht, abzuhauen. Droben bei Hergensweiler haben ihn einige Zwangsarbeiter erwischt und erschlagen.« Sie schwieg nun auch. »Aber was das mit unserem Fall zu tun haben könnte, weiß ich nicht.«
    Schielin dachte an seine Töchter und an andere Kinder die er kannte, im Alter von dreizehn, vierzehn Jahren.

    Kimmel versuchte wieder einen Weg zurück aus dem betretenen Schweigen zu finden und wandte sich Erich Gommert zu. »Wieso hat das mit den Telefonlisten eigentlich so lange gedauert, Gommi.«
    Erich Gommert erschrak, hob entschuldigend die Hände, als würde er mit einer Waffe bedroht, und benannte sofort den Schuldigen: »In Kempten ist des Zeug so lange rumgelegen, in Kempten ist des Zeug so lange rumgelegen. Heut Morgen war es erst in der Dienstpost, heut morgen erst. Ich hobs gleich dem Conrad hingelegt. Die machen mich überhaupt wahnsinnig da droben. Was die auf einmal alles brauchen – Listen, Statistiken, Personalbogen, Möbelregister, Reparaturauswertungen – Heilige Nacht! Als hätt’s uns vorher nicht gegeben – und die selbst auch nicht. Demnächst ruft einer an und fragt nach unserer Telefonnummer.«
    Kimmel presste die Lippen aufeinander und sagte keinen Ton.
    Das übernahm Robert Funk. »Prima Polizeireform, das kommt dann dabei raus – ein Wasserkopf, wie er schlimmer noch nicht war. Die wissen da droben schon gar nicht mehr, wo sie noch Gebäude anmieten sollen. Noch nie gab es in Bayern so viele Polizisten, die von acht Uhr bis sechzehn Uhr dreißig das Verbrechen vor ihren Computern bekämpft haben.«
    Wenzel lachte herb und zustimmend, Kimmel rieb schweigsam seine festen Pranken, und die anderen hörten Funk amüsiert zu.
    »Ein paar Dumme braucht man offensichtlich noch, die die Arbeit machen, ermitteln, oder wie die von da drüben, in der Tracht draußen rumfahren, mit echten Bürgern Kontakt haben und sich die Nächte um die Ohren schlagen. Der Rest trägt Papier von einem Zimmer ins andere, schreibt an Konzepten, die kein Schwein liest, oder versendet E-Mails mit zweihundert Anlagen, weil grad nichts Blöderes zum tun ist.«
    »Es ist halt noch nicht alles so richtig eingespielt«, suchte Kimmel Robert Funks Aussage ohne rechte Überzeugungskraft zu relativieren.
    »Es ist doch nicht nur bei uns so. Überall dieser

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