Heidi Klum - Chamäleongesicht. Biographie (German Edition)
diese unendlich verwöhnten Schreckschrauben, die vom Erfolg überwältigt werden, und umgeben sind von Idioten und Blutsaugern.“ Bei Topmodels sei es so, dass sie vor und nach ihrer Karriere im privaten Umgang sehr nett sein könnten. Im Höhepunkt aber seien sie durch die Bank unerträglich. Der Erfolg steige ihnen zu Kopf. Keine könne das verkraften. In diesem Zusammenhang fallen auch die Bemerkungen über Heidi. Beide Behauptungen sind im Kern nicht falsch. Heidi war nie so abgemagert, wie man das in den 1990ern bei Laufsteg-Models manchmal gern gesehen hätte, aber immer noch sehr schlank nach gewöhnlichen Kriterien. Das galt vor allem für ein Models in Katalogen, die normale Kleidergrößen bestellen sollten. Also war sie eine „Wurst“. Als „Hungerhaken“ wäre Heidis Karriere bei Newport News auch mit großer Wahrscheinlichkeit schlechter verlaufen, da dieses Aussehen dort nicht gewünscht war. Ob sie also nun ein „Pummel“ oder eine „Wurst“ gewesen sein soll, ist da nicht so wichtig, gemeint ist das Altbekannte: Dass Heidis Körper anfänglich im Umfeld zahlreicherer größerer und dünnerer Models die Booker eben doch eher an einen Normalo erinnert hat. Und dass sie zu Beginn ihrer Karriere auf Agenturleute als Bergisch-Gladbacher Kleinstädterin eher „fad“ oder „talentlos“ wirkte, hat Heidi selbst beschrieben. Ihr fehlte der Mythos, den sie sich in späteren Jahren – auch mithilfe von Visagisten und Styleberatern – mühsam erarbeiten würde. Der Mythos des Erfolgs, den nur der Erfolg verleihen kann. Vor ihrer Karriere sind die meisten Stars normal. Und dass Heidis Lächeln nichts von der Unschuld kleiner bunter Fische hatte, die im Haifischbecken der New Yorker Modewelt normalerweise gefressen werden, musste einer wie Casablancas erst lernen, der dem Druck ja sichtlich selbst nicht gewachsen war. Denn Heidi dreht im Lauf der ersten Jahre den Spieß um. Sie macht aus allmächtigen Agenturchefs wieder die Vermittler von Terminen, die sie ja eigentlich sind, und verwandelt sich vom bloßen „Frischfleisch“ in eine überaus erfolgreiche Ich-AG. Denn Topmodel werden ist eine Sache, Topmodel zu bleiben hingegen etwas ganz anderes. Wer da nicht wie Heidi über die Fähigkeit verfügt, kühl zu rechnen und hart zu verhandeln, geht in dieser schnelllebigen Branche in kürzester Zeit unter. Dass ein John Casablancas Heidi entdeckt haben soll, ist also ungefähr genauso wahr wie die Behauptung, der damalige Gouverneur von Illinois, Rod Blagojevich, sei Barack Obamas „Entdecker“ gewesen. Tatsächlich wurde Heidi schon kurz nach ihrem Eintritt bei Elite eine ihrer lukrativen Einnahmequellen, und Casablancas Suada deshalb nichts als Ausdruck der Frustration, als Agentur innerhalb kürzester Zeit drei Topstars verloren zu haben: Heidi, Naomi Campbell und Gisele Bündchen. Alle drei kriegen von ihm zum Abschied dann im Interview ihr Fett weg. Campbell beschrieb Casablancas zu der Gelegenheit als „intrigante, unmögliche kleine Dame ohne jede Manieren, die uns wie Dreck behandelt hat“, und Bündchen bezeichnete er gar als „Monster der Selbstsucht”. Im Vergleich dazu sind seine Beleidigungen von Heidi noch relativ sanft. Bei seiner Rückkehr zu Elite fünf Jahre später würde er sich im Übrigen dann schon wieder dafür rühmen, Heidi Klum entdeckt zu haben. Und wenn Casablancas dann als Rückkehrer bemerkt, unter den Topmodels gäbe es derzeit nur zwei, die auch schon damals an der Spitze gestanden hätten, nämlich Gisele und Heidi, ist das für Heidi ein großes Kompliment und eine späte Anerkennung von einem alten Feind, über die Journalisten nicht so gerne schreiben. Weil es weniger süffig klingt.
An dieser Stelle lohnt es sich, kurz auf die Entwicklung des Modelgeschäfts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt einzugehen, an der John Casablancas großen Anteil nahm. Den Beruf des Supermodels gibt es erst seit den modebegeisterten 1960er Jahren, als ein untergewichtiges fünfzehnjähriges Model aus London die Welt eroberte. Sie hieß Lesley Hornby, wurde aber aufgrund ihres Aussehens unter dem Begriff des „Zweiglein“, nämlich „Twiggy“ bekannt. Seitdem gibt es den Konflikt zwischen „normal“ gebauten und „superschlanken“ Models, der sich zwischenzeitlich nicht lösen konnte, weil Modemacher immer eher der schmalen Form zuneigen, ihre Kunden aber Models bevorzugen, mit deren Aussehen sie sich identifizieren können. Die
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