Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Marget sagen, wie gut es dem Fani jetzt gehen kann. Siehst du, im Blatt stand eine Anzeige vor ein paar Tagen, die hieß so: ›Ein Dekorationsmaler in Basel würde einen Knaben von elf bis zwölf Jahren zu sich nehmen gegen leichte Beschäftigung, er könnte auch das Handwerk erlernen.‹ Dann war noch die Adresse dabei. Das habe ich schnell dem Fani gezeigt, denn wir haben schon lange nachgesonnen, wie er ein Maler werden könnte und nicht in die Fabrik gehen müßte, und das war gerade das Rechte, denn du hattest ja gesagt, das hieße Verzierung und der Fred hat noch gesagt, es heiße auch Theaterwand. So wußte ich ja schon, daß der Fani da schöne Bäume und Blumen und Kränze machen müßte, und habe ihm das alles gesagt, und er wollte schrecklich gern gehen. Zuerst wollten wir es seiner Mutter sagen, aber er sagte, dann könne er gewiß nie, nie gehen, denn sie sage, das sei keine Arbeit, sondern nur Lumperei, und sie wolle nichts davon wissen. Dann haben wir ausgemacht, er solle jetzt nur einmal gehen, ich wollte dann schon sagen, wo er sei, wenn sie fragen, und dann würde er schnell schreiben und sagen, daß er jetzt ein Maler werden kann.«
»Aber, um’s Himmels willen, was richtest du doch für Zeug an, Emmi«, brach die Tante hier aus; »es ist ja wirklich schrecklich! Wo wird der Junge nun hinkommen und wie kann er ohne Geld nur nach Basel gelangen?«
Emmi sagte, sie habe ihm alles Geld gegeben, das sie besessen, er komme gewiß nach Basel, wenn nur die Tante jetzt mit der Mutter reden wollte, weil sie gerade so eifrig den Fani suche, wie sonst nie. Auch die Tante fand, das sei das erste, was sie tun müsse. Dann wollte sie sogleich nach Basel schreiben, um zu wissen, ob der Fani wirklich dort angelangt und in was für Händen er sei. Die Tante verlor keine Zeit. Sie schlug ihr Tuch um und eilte hinaus dem Wäldchen zu, hinter dem der Weg zu Heiris Häuschen niederstieg. Aus der niederen Haustür trat eben noch Herr Bickel, als die Tante sich nahte. Er bemerkte abschließend: »Wie gesagt, das Vagabundieren, das er im Brauch hat, hört dann auf, ich ziehe ihm jede vergeudete Zeit am Lohn ab.«
»Er wird, denk’ ich, erst Lohn haben müssen, eh’ man ihm davon abziehen kann«, sagte Marget halblaut, während Herr Bickel gewichtigen Schrittes davonging. – Die Tante trat in das Häuschen ein. Man kam von der Straße unmittelbar in die Küche und von da in die Stube. Die Tür dahin stand offen, und nahe dabei standen in der Stube zwei uralte Wiegen, eine für das Kleine und eine für den Hanseli, und auf der anderen Seite in der Küche stand der Waschzuber, den die Marget dahin gerückt hatte, um zu gleicher Zeit ihrer Arbeit obliegen zu können und die drei Buben samt dem Kleinen unter den Augen zu haben. Obschon der Hanseli zwei Jahre alt war, hatte er noch seine Wiege, und diese diente zu gleicher Zeit als Bettstatt und als Beruhigungsmittel für ihn. Schlug er jetzt, seit Elslis Wegbleiben, sein bekanntes Geschrei auf, so legte ihn die Mutter auf der Stelle in die Wiege hinein, wo er, durch die schaukelnde Bewegung beruhigt, alsbald vom Schlaf übermannt wurde. Eben jetzt stand der Heirli auf der einen und der Rudi auf der anderen Seite der beweglichen Bettstatt und beide stießen aus Leibeskräften die heranschaukelnde Wiege immer einer dem anderen zu, so daß der darinliegende Hanseli längst in den tiefsten Schlaf versunken war und darin erhalten wurde. Die Tante setzte sich auf den hölzernen Schemel neben den Waschtrog hin und forderte die Marget auf, fortzufahren an ihrer Arbeit; sie habe mit ihr zu reden, das könne aber neben dieser Arbeit geschehen. Sie fing nun ganz zahm und behutsam an, der Marget beizubringen, wohin der Fani gekommen sei, und fügte auch gleich bei, sie werde unverzüglich nach Basel schreiben, um inne zu werden, wo er hingekommen sei und was der Meister mit ihm im Sinne habe. Sie würde ihn auch gleich wiederkommen lassen, wenn der Vater und die Mutter es haben wollten. Die Marget stand noch unter dem Eindruck des Lohnabziehens. Der Vorteil für den Fani und die ganze Haushaltung schien ihr schon nicht mehr so groß zu sein, wie sie zuerst gedacht hatte. Wenn nun der Fani da unten sein Essen und seine Kleider verdienen könnte und so unversehens ein Handwerk erlernte und vielleicht bald sein eigenes Auskommen hätte, so wäre das doch eigentlich besser als alles, was er daheim erreichen könnte, und man hätte so keine Sorgen bei dem ganzen Verlauf. Diese Gedanken
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