Heidi und die Monster
von mir?«
»Lass mich in die Hütte und schenk mir ein Glas Milch ein, so will ich es gern erzählen.«
Insgeheim war der Großvater froh, dass er verschnaufen konnte. Er legte den Füüschtlig beiseite und ging dem Pfarrer voran. Im Haus zündete er einen Kienspan an und machte Licht. Der Geistliche sah sich um.
»Als Heidi noch da war, hattet Ihr es ordentlicher«, sagte er schmunzelnd.
»Ist er heraufgekommen, mir beim Putzen zu helfen?«, schlug der Öhi wieder den rüden Ton an.
»Wir müssen miteinander reden.« Der Pfarrer setzte sich. »Ihr macht ein Geheimnis aus allem, was Ihr tut, habt es immer so gehalten. Aber unser Dorf ist klein, und die Leute stellen Vermutungen an. Es wird geredet.«
Mit einer Geste gebot der Öhi ihm Einhalt. »Haben die Dörfler Euch geschickt?«
»Nein. Meinem Gewissen bin ich gefolgt.«
»Mitten in der Nacht schickt Euer Gewissen Euch den Berg hoch?«
»Man braucht keine scharfen Augen zu haben, um zu sehen, was er tut. Selbst vom Dorf unten ist der Bannkreis zu erkennen, den Ihr aushebt, Nachbar.«
»Zu meiner Verteidigung tu ich’s. Wer wollte etwas dawider haben?«
»Ihr geltet als ungeselliger Mann, Öhi«, antwortete der Pfarrer, »aber Ihr geltet auch als gewitzter Mann. Die Leute fragen sich, was den Alm-Öhi antreibt, gerade jetzt einen Schutzwall anzulegen. Sie munkeln, dass Gefahr zu uns heraufzieht und dass Ihr die Gefahr angelockt hättet.«
»Ist es jetzt schon so weit, dass die ängstlichen Gestalten dort unten einen Sündenbock brauchen?«, erwiderte der Großvater.
»Das sind unheilvolle Worte, Nachbar. Die Erscheinungen passen zusammen: Zuerst wird die gute Brigitte merkwürdig und zieht sich vor den Menschen zurück. Darauf verschwindet Brigittes Sohn, der Geißenpeter, und schließlich rüstet sich der Alte hoch oben zum Kampf.« Der Pfarrer zeigte zum Fenster. »Jetzt, da ich Euer Bollwerk von Nahem sehe, scheint es mir eher eine Schlacht zu werden, die Ihr schlagen wollt.«
Der Öhi sagte nichts, stand auf und stellte den Milchkrug in den Kasten.
»Gegen wen?« Der Pfarrer ließ sich nicht beirren. »Wer wird Euer Gegner sein oder gar unser aller Gegner?«
»Hat nichts mit dem Dorf zu tun«, knurrte der Alte.
»Wenn Ihr die Mächte der Finsternis anlockt, hat es mit uns allen zu tun.«
Der Großvater räusperte sich. »Es ist nur…ich …« Es kam ihn schwer an, einen Teil der Wahrheit preiszugeben. »Dass ich das Kind zurückholen will.«
»Das Heidi?«, rief der Pfarrer erstaunt. »Warum? Wieso lasst Ihr’s nicht an einem Ort, wo es sicher ist und wohl versorgt?«
»Was wisst Ihr!«, grollte der Öhi. »Gerade in der Stadt ist Heidi seines Lebens nicht sicher. Er jagt es, er kriegt es, er holt sich’s!«
»Wer?« Der Pfarrer trat dicht vor den Alten.
»Der Uuputztä, der mir meine Adelheid geraubt hat!«, flüsterte der Öhi. »Erst wollte er die Tochter, jetzt will er ihr Kind.«
»Wie könnt Ihr das wissen? Wart Ihr in Frankfurt, um Euch zu überzeugen?«
»Das braucht’s nicht.« Er setzte sich schwer auf die Bank neben dem Feuer. »Er selbst war hier. Auch Ihr habt ihn kennengelernt.«
»Wen meint Ihr?«, fragte der Geistliche, obwohl ihn eine Ahnung ankam.
»Der schwarze Professor. Der Herr, der im Adler abstieg, ein halbes Jahr ist es her.«
»Er sollte die Kreatur sein, die Eure Adelheid …?«
Der Großvater nickte schwer. »Er war es auch, der Brigitte verunreinigt hat, doch ist sie stark und lebt ganz in Gott. Jetzt aber will er Heidi, das Unschuldskind, zu seiner Gespielin machen!«
»Wieso glaubt Ihr dann, dass er zurückkommt?« Der Pfarrer schaute, wie die Flammen im Gesicht des alten Mannes seltsame Schatten schufen.
»Weil Peter sie herbringt. Er holt Heidi heim, nur hier ist sie sicher.«
»Ihr habt den Jungen ausgeschickt?« Ungläubig setzte sich der Pfarrer ebenfalls ans Feuer. »Den weiten Weg bis Frankfurt und zurück? Schickt ihn in die Stadt, wo bereits mehr Verdammte umgehen als Gottgefällige?«
»Der Bub ist gewitzt und wendig«, antwortete der Großvater mit gesenktem Kopf. »Er hat die Kraft der Verzweiflung, er will seine Mutter retten.«
»Glaubt Ihr im Ernst, Euch dagegenstellen zu können, dass Brigitte Abschied nimmt vom lichten Weg und in der Finsternis versinkt? Meint Ihr denn, ich hätte nicht Ähnliches schon an vielen Unglücklichen versucht? Mit dem Kreuz und geweihtem Wasser hab ich’s probiert, mit Austreibung und Bannfluch hab ich versucht, den Gottseibeiuns
fernzuhalten.
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