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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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bellendes Husten unterbrach ihre Worte. Röchelnd schnappte sie nach Luft. Als sie wieder sprechen konnte, war ihre Stimme nur noch ein Hauch. »Hüte dich vor … der Liebe. Sie kann … dich töten.«
    Dorothea wollte sie fragen, was sie damit meinte, wollte ihrer Mutter versichern, dass Daniel sie liebte und ihr nie etwas zuleide tun würde. Doch als sie zum Sprechen ansetzte, merkte sie, dass der rasselnde Atem ihrer Mutter nicht mehr zu hören war. Die Brust, die sich vorhin noch so krampfhaft gehoben und gesenkt hatte, war nun vollkommen entspannt. Ruhig lag die Mutter da. Sie war still, zu still.
    Der Schmerz war wie ein scharfer Dolchstich. Er traf Dorothea mit solcher Wucht, dass sie nicht einmal weinen konnte. Ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Verzweifelt warf sie sich über die Mutter, ihre Hände krallten sich in das Krankenhemd. Ihre Mutter war noch warm, doch von diesem Körper würde kein Trost mehr kommen. Nie wieder. Sie war fort. Unwiderruflich und endgültig.
     
    Die nächsten Tage zogen an Dorothea vorüber wie ein böser Traum. Die Bestattung, für die zwei fluchende Männer hastig eine Grube aus der froststarren Erde aushoben, die hölzerne Kiste, vom Schreiner für ein paar Taler lieblos zusammengezimmert, worin der leblose Körper lag, der vor ein paar Tagen noch ihre Mutter gewesen war, und Jakob, Dorotheas Bruder, der ausnahmsweise für wenige Stunden Freigang aus dem Kloster erhalten hatte, um seine Mutter zu begraben. Schmal und ernst stand er in seiner groben Mönchskutte mit einem Strick um die Mitte auf dem Gottesacker und blickte auf das Grab, in dem die Tote lag, als könne er es nicht fassen.
    Dorothea hoffte, er würde nach der Beerdigung noch für eine kurze, kostbare Zeit bei ihr bleiben, doch ihr Wunsch wurde nicht erfüllt.
    »Du weißt, warum ich zurückmuss«, sagte er bedrückt, und Dorothea nickte, obwohl sie nicht verstand, warum seine Liebe zu Büchern größer war als die zu seiner eigenen Schwester.
    Als die letzten Strahlen der eisigen Wintersonne am blaugrünen Himmel aufgeflammt waren und sich die Dunkelheit wie ein schwarzer, undurchdringlicher Mantel über das Häuschen senkte, das Dorothea ab jetzt alleine bewohnen würde, erfasste sie eine so große Einsamkeit, dass sie dachte, sie würde ebenfalls sterben. Finster wie die Nacht und so trostlos wie verbranntes Gras lag ihr Leben vor ihr. Am liebsten wäre Dorothea eingeschlafen und nie wieder aufgewacht.
    Ein leises Klopfen riss sie aus ihren Grübeleien. Mühsam und kraftlos wie eine alte Frau stand sie auf und öffnete. Vor ihr stand Daniel. Mitfühlend ruhten seine Aquamarinaugen auf ihr. Wortlos zog er sie an sich, und endlich flossen die Tränen. Dorothea weinte und weinte. Um ihre Mutter, ihren Verlust und um sich.
    Daniel hielt sie die ganze Nacht im Arm. Und als die Morgenröte den Himmel überzog und sie in sein vom Schlaf entspanntes Gesicht blickte, da war es, als ob ihre zerrissene Welt wieder zu einer Ganzheit zurückgefunden hätte.
     
    Daniel verbrachte viele Winterstunden mit Dorothea in der Hütte. Sie erzählten sich von ihrem Leben und ihren Träumen. Oft tröstete er Dorothea, wenn sie die Trauer um ihre Mutter übermannte. Seine leibliche Mutter hatte Daniel nie kennengelernt. Sie war noch im Kindbett verschieden. Zwar hatte sein Vater sich ein paar Jahre später erneut vermählt, doch auch seine zweite Frau war im vorletzten Jahr an einer Blutvergiftung gestorben.
    Von seinem Vater erzählte Daniel nicht viel. Doch das war auch nicht nötig. Dorothea hatte nur einen Blick in dessen kalte, schwarze Augen werfen müssen, um zu wissen, dass er ein Mensch war, der nicht von Güte, sondern von Macht angetrieben wurde. Ganz anders als sein Sohn.
    Zunächst fand Daniel es erstaunlich, dass eine Schönheit wie Dorothea mit 16 Jahren noch unverheiratet war, doch bald verstand er, dass ihre Mutter sie Stärke und Unabhängigkeit gelehrt hatte. Eines Morgens, als der Frost sich wie ein stiller Dieb davongemacht hatte und eine weißgrüne Flut von Schneeglöckchen den Garten eroberte, da sagte Daniel, dass er sie heiraten wollte. Dorothea war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Der Tag schien sich mit seinem blauen Märzhimmel, der milden Luft, den bunten Blumen, den dicken Knospen und den lindgrünen Blättern an den Bäumen für das junge Paar herausgeputzt zu haben.
     
    Und heute sollte also der Tanz in den Frühling stattfinden, ein großes Fest, zu dem die ganze Stadt auf den

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