Heike Eva Schmidt
Speisen herzhaft zu. Misstrauisch beäugte ich die Fleischberge auf dem Tisch vor mir. Gemüse, wie Kartoffeln, Paprika oder wenigstens ein paar Tomaten, fehlte völlig. Ich schätzte, das Zeug war damals noch völlig unbekannt. Auch die Erklärungen des Dieners trugen nicht gerade dazu bei, meinen Appetit zu steigern. »Aalpastete in Gallert«, »gesalzener Hering mit Petersil« und »Braten vom Wildschwein mit Kronbeeren« ließen mir nicht gerade das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Einzig mit dem »Eierkuchen gekrönt von Waldbeeren« hätte ich mich anfreunden können. Doch beim Anblick der toten Tiere, die vor mir auf den Silberplatten lagen, hätte ich am liebsten gewürgt. Eins von ihnen sah aus wie ein riesengroßes Huhn, und seine hornigen Füße schienen kurzerhand mitverarbeitet worden zu sein, denn sie stakten wie zwei Stelzen aus dem gerupften und gegarten Rumpf.
»Fasan. Zart gebraten und mit Edelkastanien aus dem Spessart gefüllt«, erklärte Daniel, der meinen skeptischen Blick bemerkt hatte.
»Ähm, um ehrlich zu sein – ich bin Vegetarier«, flüsterte ich beschämt, weil er sich so ins Zeug gelegt hatte und ich sämtliche seiner »Köstlichkeiten« verschmähte.
»Was ist Vegetarier – eine Religion?«, fragte er ratlos. Als ich erklärte, dass ich kein Fleisch aß, schüttelte Daniel verständnislos den Kopf. »Aber wenn es doch im Überfluss auf dem Tisch steht, Cat?«
Ich lächelte ihn nur stumm an. Selbst wenn er mir die leckersten Speisen der Welt aufgetischt hätte, ich hätte unmöglich essen können. Zu schwer wog die Last des nahenden Abschieds.
Dorothea schien zu verstehen, was in mir vorging, denn sie legte das Messer weg und sah mich traurig an. Ich nickte kaum merklich.
Während die Dienstboten den Tisch abräumten und Jakob mit Daniel über dessen künftige Richtertätigkeit diskutierte, zog mich Dorothea in eine Ecke des Zimmers.
»Musst du wirklich fort, Cat? Kannst du nicht doch hierbleiben? Du könntest bei uns wohnen«, sagte sie leise, und die Hoffnung, die aus ihren Worten sprach, tat mir im Herzen weh.
Ich schluckte schwer, als hätte ich etwas Heißes, Bitteres in der Kehle stecken. »Ich kann nicht bleiben, Süße, auch wenn ich es noch so gerne würde.«
Schniefend erwiderte Dorothea: »Ich weiß ja. Aber du bist mir eine so gute Freundin geworden, und … es fällt mir schwer, dich wieder herzugeben«, sagte sie und lächelte unter Tränen.
Ich nahm sie fest in den Arm. Es gab nichts mehr hinzuzufügen. Auch sie war mir eine Gefährtin geworden, wie ich sie mir immer gewünscht hatte. Der Gedanke, sie nie mehr wiederzusehen, brannte und pochte in meinem Inneren wie eine frische Wunde. Und ich würde noch jemandem Lebewohl sagen müssen. Mein Herz fühlte sich an wie ein Stück Papier, das man in der Mitte auseinanderriss. Unwillkürlich blickte ich zu Jakob hinüber. Dorothea schien meine Sehnsucht zu spüren, denn sie wandte sich an Daniel und griff nach seiner Hand.
»Wir haben anstrengende Stunden hinter uns, Liebster. Ich würde nun gerne ein wenig ruhen«, sagte sie und warf mir ein trauriges Lächeln zu.
Daniel nickte. Dorothea umarmte mich ein letztes Mal, wobei sie flüsterte: »Ich werde dich niemals vergessen, Cat. Danke für alles.«
Daniel kam zu uns herüber und legte ihr liebevoll den Arm um die Schultern: »Die Dienerschaft hat bereits ein Gemach für dich zurechtgemacht. Komm mit mir, ich will es dir zeigen.« Damit führte er sie zärtlich zur Tür.
Dorothea blickte zu ihm auf und sagte: »Okei!« Dann drehte sie noch einmal den Kopf und zwinkerte mir unter Tränen zu. Daniels verwirrtes Gesicht war das Letzte, das ich von den beiden sah, bevor sie Arm in Arm durch die Türe verschwanden.
Langsam wandte ich mich um. Jakob stand mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt und sah mich ernst an. Einen Augenblick hatte ich Angst, dass er gleich wieder ins Kloster müsse, doch stattdessen sagte er nur: »Wollen wir ein wenig hinaus? Mir ist nach frischer, klarer Luft!«
Dankbar nickte ich, und wir verließen das Förgsche Anwesen. Ich würde nie wieder dorthin zurückkehren. In stillschweigender Übereinstimmung schlugen wir den Weg ein, der aus der Stadt hinausführte.
Wir sprachen kein Wort, bis wir am Fuß des Michaelsbergs angelangt waren. Vor uns erstreckte sich eine Streuobstwiese mit blühenden Apfel-und Kirschbäumen. Das Gras stand hoch, und zwischen zartrosa blühendem Klee reckten weißflockige Pusteblumen ihre kugeligen Köpfe.
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