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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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die Menge um mich herum in Unruhe. Buhrufe und Flüche wurden laut.
    Der Mann mit dem harten Gesicht hob die Stimme und fuhr fort:
    »… und werden deswegen zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt.«
    Ich zuckte zusammen, als hätte mich ein Peitschenhieb getroffen. Grausamer hätte der Irrtum, dem ich aufgesessen war, nicht sein können. Dies sollte kein Freudenfest werden, sondern eine Hinrichtung! Eine Hexenverbrennung! Um mich herum brandete Jubel auf, die Leute klatschten Beifall und murmelten Zustimmung. Nur vereinzelt war ein Murren zu hören, und ich meinte, den Satz »Dieser Wahnsinn muss doch bald ein Ende finden« zu hören.
    Der Mann mit dem Pergament hob die Hand und die Menschen verstummten. Sein Blick glitt über die Menge. Unwillkürlich duckte ich mich und zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Er machte mir Angst, und ich wollte nicht, dass seine Augen, klein und scharf wie die eines Bussards, mich als neue Beute ins Visier nehmen würden.
    »Margarete Nuss, Gesche Bittl, Paul Morhaupt«, wiederholte er und machte dann eine bedeutungsvolle Pause, ehe er hinzufügte: »Möge Gott Euren Seelen gnädig sein!«
    Die Menge begann zu toben. Gleich darauf wurden drei gefesselte Gestalten in kurzen Hemden auf den Platz geführt. Es waren ein Mann und zwei Frauen. Allen hatte man die Köpfe bis auf wenige, kurze Büschel kahlgeschoren.
    Der Schock breitete sich von meinen Fingerspitzen in meinem ganzen Körper aus, als hätte ich die Hände in Eiswasser getaucht. Ich konnte einfach nicht glauben, was ich sah. Die drei Gestalten wurden an den Holzpfahl in der Mitte des Scheiterhaufens gebunden. Eine der Frauen schien bereits ohnmächtig geworden zu sein, ihr Kopf hing schlaff vornüber wie der einer kaputten Puppe. Die andere starrte mit schreckgeweiteten Augen und wildem Blick in die rufende Menge, während der Mann sich so heftig auf die Unterlippe biss, dass ihm das Blut übers Kinn lief.
    Etwas Heißes, Bitteres breitete sich in meinem Magen aus und stieg mir in die Kehle. Ich wollte das nicht sehen. Ich wollte nicht, dass es real war. Abrupt drehte ich mich um und versuchte, mir einen Weg durch die dichtgedrängten Menschenleiber zu bahnen. Doch es war kein Durchkommen. Die Leute standen zu eng beieinander. Sie schrien und feuerten die Henkersknechte an.
    Schon flog die erste Pechfackel in den Holzstoß. Dann die zweite, dritte und vierte. Hungrige Feuerzungen leckten an den unteren Holzscheiten, die Flammen fauchten auf und erfassten gleich darauf die zweite Lage.
    »Hexe, Hexe, du sollst brennen, mit dem Kopf nach unten hängen«, ertönten helle Stimmen. Ein paar Kinder hatten sich an den Händen gefasst und tanzten zu ihrem schrecklichen Lied einen Ringelreihen. Ich hielt mir die Hände vors Gesicht, als könnte ich das Spektakel ungeschehen machen, wenn ich nur ja nicht hinsah.
    »Teufelslieder sollst du singen, bis die Flammen dich umringen …«
    Mein Gesicht begann zu schmerzen, und ich merkte, dass ich meine Fingernägel tief in meine Wangen gegraben hatte. Es gab kein Entkommen. Weder für die drei Menschen auf dem Scheiterhaufen noch für mich, die ich zum Zuschauen verdammt war. Ich kniff die Augen fest zusammen. Nur nicht hinsehen. Als die Hitze des Feuers wie eine Wand auf mich zuwaberte, nahm ich neben dem rauchigen Holzgeruch noch etwas anderes wahr. Scharf, beißend, ekelerregend: der Geruch von verbranntem Fleisch.
    Die Beifalls-und Anfeuerungsrufe wurden von einem durchdringenden Kreischen übertönt. Es klang nicht nach einem menschlichen Laut, sondern nach einem Tier, das unter großen Schmerzen verendete. Gellend hallte der Schrei in meinen Ohren, und die jämmerlichen, hohen Laute schienen sich direkt in mein Gehirn zu bohren. Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, wer da schrie: Es war eine der »Hexen«, die im Feuer starb.
    Mir wurde schwarz vor Augen. Das Letzte, was ich hörte, ehe ich endlich die Besinnung verlor, waren die Zeilen des Kinderlieds:
    »Hexe, Hexe, du sollst sterben,
    mit deiner Asche den Himmel färben …«
    Als würde jemand die Lautstärke eines CD-Players leiser und leiser drehen, wurden die Stimmen allmählich zu einem Raunen, bis sie ganz verstummten. Erneut versank ich in einem purpurschwarzen Strudel. Und dann war da nur noch Dunkelheit – und Stille.
     
    Mit einem Ruck fuhr ich hoch. Mein Haar klebte mir in nassen Strähnen an der Stirn, und mein Rücken war feucht von Angstschweiß. Ich erwartete, in einer der mittelalterlichen Gassen zu

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