Heike Eva Schmidt
gebraucht.
Seufzend drehte sie den Silberring und versuchte, ihn sich über den Finger zu streifen. Zuerst ging es leicht, doch schon beim ersten Gelenk stockte der Ring wie ein störrisches Pferd und wollte nicht mehr weiter.
In einem plötzlichen Anflug von Ärger zog sich Dorothea den Schmuck heftig vom Finger, warf ihn zurück in die Schmuckschatulle und schloss energisch den Deckel: Wozu brauchte sie einen Ring? Sie würde ja sowieso als alte Jungfer enden, jetzt, da Daniel sie verschmähte.
In diesem Moment ertönte ein Scharren vor der Haustüre. Dorothea zuckte zusammen. Seit sie das Häuschen alleine bewohnte, war sie schreckhaft geworden. Wer konnte schon ahnen, ob nicht ein Besucher mit unlauteren Absichten auf der Schwelle stand? Schließlich war Dorothea eine Schönheit – und unverheiratet. Sie hob den Kopf und lauschte. Kein Zweifel, etwas da draußen bewegte sich.
Hastig griff sie nach einem hölzernen Dreschflegel, der von der Decke hing. Er diente ihr zum Dreschen der Ähren, ehe sie die Körner im Mörser zermahlte und daraus Brot buk. Aber nun würde er auch als Waffe hilfreich sein. Leise huschte sie zur Mitte des Raumes, als es leise klopfte und eine dunkle Stimme gedämpft um Einlass bat. Eine Stimme, die sie unter Hunderten wiedererkennen würde und die ihr Herz gegen ihren Willen höherschlagen ließ.
Trotzdem zwang sie sich, gemäßigten Schrittes zur Tür zu gehen und sie nur einen Spaltbreit zu öffnen. Dahinter stand Daniel, sein Gesicht war blass und seine Wangen eingefallen. Seine Veränderung war so auffällig, dass Dorothea unbewusst einen Schritt zurücktrat und die Tür weiter öffnete. Mit steifen Schritten trat Daniel ein und ließ sich schwerfällig auf einem der Hocker nieder. Elend sah er aus. Doch Dorothea ließ kein Mitleid zu, zu groß war ihr Zorn über seine Feigheit beim Tanzfest. Sie stellte sich vor ihn hin, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn mit finsterem Blick: »Dass du es wagst, mir noch einmal unter die Augen zu treten …«, begann sie.
Doch als er das Gesicht hob und sie anblickte, blieben ihr die Worte im Halse stecken. Seine Aquamarinaugen waren dunkel und trübe, wie ein vom Sturm aufgewühlter Teich. Nur zwei rote, ungesund glühende Flecken brannten auf seinen wachsweißen Wangen. Als er den Mund zum Sprechen öffnete, fiel Dorothea auf, wie schmal und trocken seine Lippen waren.
»Ich erwarte nicht, dass du mir vergibst. Ich bin nur gekommen, weil … ich wollte dir sagen …«
Mit einer hilflosen Geste brach er ab. Aber Dorothea dachte nicht daran, ihm beizuspringen. Beim Tanz, als sein Vater sie bedrängt hatte, hatte er schließlich auch geschwiegen. Nun war die Reihe an ihm. Also wartete sie trotzig, doch von Daniel kam nichts mehr. Er schüttelte nur stumm den Kopf und stand auf. In seinem Blick lag die Verzweiflung eines Verurteilten auf dem Weg zum Schafott. Federleicht berührte er Dorotheas Arm mit den Fingerspitzen.
»Verzeih mir«, flüsterte er und wollte an ihr vorbei zur Tür. Doch so leicht ließ sie ihn nicht davonkommen. Hart packte sie ihn am Arm und hielt ihn zurück.
Vor Überraschung strauchelte Daniel, und Dorothea prallte ungewollt gegen seine Brust. Mit einem unterdrückten Wehlaut wich er zurück, das Gesicht schmerzverzerrt.
Dorothea erschrak. »Daniel – was ist dir geschehen?«, fragte sie besorgt. Als er nur abwehrend den Kopf schüttelte, wurde ihre Stimme weicher: »Liebster, du hast Schmerzen, ich sehe es dir doch an. Bitte, lass mich wenigstens nachsehen …«
Schon nestelte sie an der Schnürung seines Hemdes. Er machte einen schwachen Versuch, ihre Handgelenke festzuhalten, aber ihre heilkundigen Hände und ihre sanfte Stimme hüllten ihn ein wie eine weiche, tröstende Decke, und so ließ er es zu, dass sie ihm das Kleidungsstück abstreifte.
Dorothea schrie auf. Vier dicke, brandrote Striemen liefen quer über seinen Oberkörper, als habe ein Dämon mit seiner Krallenhand zugeschlagen. Fassungslos blickte sie in Daniels gequältes Gesicht. Er nickte, denn er hatte ihre stumme Frage verstanden.
»Mein Vater. Diesmal hat er den Ochsenziemer genommen.«
»Aber … warum?«, war alles, was sie herausbrachte.
Daniel lächelte schief: »Ich habe es gewagt, ihm zu sagen, dass er dich in Frieden lassen soll«, sagte er leise und starrte zu Boden.
Dorothea konnte nichts erwidern. Wie gelähmt starrte sie auf Daniels elfenbeinfarbene Haut, auf der der Beweis für die Grausamkeit des
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