Heike Eva Schmidt
Richters prangte: Die blutroten Male loderten wie Feuerzungen von den unteren Rippen bis zum Schlüsselbein und mussten höllisch schmerzen. Am liebsten hätte sie geweint und ihren Zorn gleichzeitig laut herausgeschrien. Stattdessen führte sie Daniel nur sanft zu dem Stuhl zurück und drückte ihn auf die hölzerne Sitzfläche. »Ich werde dir eine Salbe anrühren, die den Schmerz stillt und die Heilung beschleunigt«, sagte sie ruhig, obwohl ihr eher danach zumute war, einen vergifteten Trank aus Wasserschierling und rotem Fingerhut für seinen Vater zu mischen. Noch nie hatte Dorothea einen solch leidenschaftlichen Hass auf einen Menschen empfunden.
Während sie Hirschtalg über dem Herdfeuer erwärmte, dem sie später Steinklee, Spitzwegerich und Beinwell für eine betäubende und heilende Paste beifügen würde, war sie froh, ihre Hände beschäftigt halten zu können. Es lenkte sie von ihren Gedanken ab. Doch eines war ihr bewusst: Ihre Verletztheit und die Wut auf Daniel waren verschwunden, wie fortgeblasen von dem ungestümen Aprilwind, der ums Haus strich und endlich den späten Frühling brachte.
Als hätte Daniel gespürt, was in ihr vorging, erhob er sich und trat hinter sie. Behutsam nahm er sie in den Arm. »Ich habe mich so nach dir gesehnt«, hauchte er in ihr Ohr, während er seine Nase im Feuergold ihrer Haare vergrub.
»Verzeih mir, dass ich so feige war.«
Ohne ein Wort drehte sich Dorothea zu ihm um und schlang die Arme um seinen Hals wie eine Ertrinkende.
Beim ersten Vogelruf, gerade als ein zaghafter, blaugrauer Schimmer des neuen Tages über den Wiesen erschien und die pechschwarze Nacht sich wie ein Dieb davonmachte, weckte Dorothea Daniel. Schweren Herzens ließ sie ihn ziehen, aber es war besser so: Wenn der Richter erfuhr, wo sein Sohn die Nacht verbracht hatte, würde er ihn wahrscheinlich halb totschlagen.
Als es zwei Stunden später klopfte, überschwemmte sie eine wilde Freude. Ihr Liebster war zurückgekommen! Ungestüm riss sie die Tür auf – um gleich darauf in der Bewegung zu erstarren. »Jakob?«, war alles, was sie herausbrachte.
Ihr Bruder war beinahe so blass wie Daniel gestern. »Schwester«, sagte er förmlich, »ich habe mit dir zu reden.«
Mit einem unsicheren Lächeln bat Dorothea ihn herein. Sie bot ihm etwas von dem Kuchen an, den sie heute Morgen frisch gebacken hatte, nachdem Daniel gegangen war. Doch Jakob machte eine ablehnende Geste, und Dorothea erinnerte sich, dass ihm als Novize jeglicher Genuss verwehrt war. Er wollte sich nicht mal setzen. Stattdessen wanderte er mit ernster Miene, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, in der Stube auf und ab. Fast musste Dorothea lachen: In seiner dunklen Kutte sah er aus wie eine der schwarzen Saatkrähen, wenn sie wichtig und dorfschullehrerhaft auf den abgeernteten Feldern herumliefen. Doch das Schmunzeln verging ihr schlagartig, als er zum Sprechen ansetzte.
»Dorothea, da wir schon früh unseres Vaters und nun auch der Mutter beraubt wurden, bin ich nun für dich verantwortlich.«
Ihr Bruder machte eine Pause. Seine Worte schienen in der Luft zu hängen, so gewichtig, dass Dorothea kurz glaubte, sie tatsächlich greifen zu können.
Energisch, fast fordernd, fuhr Jakob fort: »Du zählst nun beinahe 17 Lenze, und es schickt sich nicht, dass du immer noch keinen Mann zum Gatten genommen hast.«
»Aber Jakob, du weißt doch, dass ich das nicht will«, warf Dorothea ein. Sie war verwirrt. Was sollte diese Ansprache?
»Schön und gut, Schwester, aber hier geht es nicht um deine Wünsche. Du musst an deine Zukunft denken. Und ich ebenso. Heute Morgen ist ein hoher Herr im Kloster vorstellig geworden. Er will dich freien.«
Dorotheas Herz machte einen Freudensprung. Deshalb also war Daniel so hastig aufgebrochen! Sein Weg hatte ihn direkt ins Kloster geführt, um bei Jakob um ihre Hand anzuhalten, dachte sie glücklich. Sie konnte ihr strahlendes Lächeln kaum verbergen, doch ihr Bruder sah alles andere als froh aus.
»Ich weiß um deine Sehnsucht nach Freiheit«, sagte er leise. Dorothea wollte ihn schon unterbrechen, ihm von ihrer großen Liebe für Daniel berichten. Doch Jakobs nächste Worte zogen ihr den Boden unter den Füßen weg.
»Aber er ist der oberste Richter Bambergs. Kaum einer hat es bisher gewagt, sich seinem Willen zu widersetzen. Und wer es doch tat, der endete im Drudenhaus.«
Hätte sich das Tor zur Hölle aufgetan, Dorothea wäre ohne Zögern hindurchgegangen. Denn die Qualen,
Weitere Kostenlose Bücher